TEXT ANDREAS WILINK
Die Jahrtausend-Wende ist nun auch schon wieder eine Weile her. Kurz zuvor hatte Rainald Goetz seinen Text »Jeff Koons« geschrieben. Stefan Bachmann inszenierte – ästhetisch launig verkitscht – die Uraufführung im Schauspielhaus Hamburg. Der Titel steht weniger für die Person des US-Künstlers, der in den 1980-er Jahren zum Spiegelbild seiner knalligen Luxus-Nippes-Objekte wurde. Sondern meint vielmehr das Prinzip eines Kunstbegriffs, der nicht mehr dem Unikat gilt, sondern im anything goes glitzert. Aber das Hybrid-Ego des »kaputten Ich-Spezialisten« (so nennt Goetz den Künstler) existiert weiter. Kreativ-Strategien des Selbst-Marketings und medialer Aufmerksamkeitserregung bleiben steigerungsfähig.
»Jeff Koons« umspielt als Nachtgesang Club- und Techno-Kultur, den Konsum von Kokain und Sex, Lust und Ekel, Geld, Glück – und den Ernstfall Liebe. Die Geistesgegenwart des Autors erschöpft sich nicht in nostalgischer Rückschau, zumal sich Spannungsverhältnisse von Autonomie und Identität, Wirklichkeit und Künstlichkeit eher noch gestrafft haben. Der zum »Stück des Jahres« 2000 gewählte, siebenaktige Text ist rhythmisches Wortfließen und Hirnströmen mit Stil- und Perspektivwechseln. In den Wahrnehmungs-Partikeln hört man herbe Rimbaud-Poesie und theorieverdrehten Sound, hört Schoßgebete und banales Schwafeln und stets die Reflexion des Dichter-Künstlers Goetz über seinen Schöpfungsakt, den er auf die Bildende-Kunst-Szene projiziert.
»Jeff Koons« braucht einen Wall, an dem sich das undramatische Drama brechen kann, um nicht zu verebben. In Düsseldorf ist dieser Wall ein ganzes Museum: die Mitte 2016 eröffnete Privat-Kollektion Philara von Gil Bronner, die auf reichlich Quadratmetern jeweils um die 100 aktuelle Arbeiten aus dem riesigen Bestand zeigt. Das Theater muss hier zu anderen Raumordnungen und Gangarten finden. Vorstellbar sind zwei Varianten, mit dem Schauplatz umzugehen: ihn affirmativ zu nehmen als das, was er ist: ein Ort, wo Vernissagen stattfinden; oder sich dazu in Gegensatz zu bringen. Ersteres liegt nahe und ist schwer durchzuhalten, ohne dass es kokett wirkt. Das junge Team des Düsseldorfer Schauspielhauses um André Kaczmarczyk und Felix Kracke wählt die Gleichung von Text und Ort. Auf dem emphatischen Parcours durch Säle und Kabinette ereignen sich Korrespondenzen mit der ausgestellten Kunst nicht konstant. Das Darsteller-Sextett muss sich behaupten gegen manch bildstark dominantes Kunstwerk. Aber es gibt Dialoge, wie den zwischen dem Gemälde »We look at each other« mit erotisch matt hingegossenen jungen Menschen und einem Schauspieler-Paar, das wie Adam und Eva im paradiesischen Zustand posiert. Die Liturgie einer Pop-Madonna ruft Koons selbst herbei.
Gelegentlich fassen die Akteure den narrativ begradigten Text wie mit Satinhandschuhen an. Die Sprache ist mal härter getaktet, mal melodisch weich gedimmt, mal comic-haft quietschig oder exakt ausbuchstabiert zum Scat-Gesang. Wenn sich Szenen in die Überdrehung schrauben, der Trubel nicht ironische Party-Garnitur bleibt, die Persiflage von Kommunikations-Hülsen und infantiler Muster nicht nachahmender Sketch ist, dann machen die 90 Minuten ernst, die in den Attitüden weniger charmant und krasser hätten sein dürfen. Kaczmarycyk, der neben seinen pastellfarben kostümierten Kollegen selbst entscheidende Parts spielt, legt das Künstlerdrama offen: mehr noch, das romantische Künstlerschicksal und dessen lyrische Momente. Zwar kobolzt und wieselt er entertainend umher und zieht eine Jerry-Lewis-Clownerie ab. Um dann jedoch zu zeigen, dass Irre-Sein und Ekstase nur ein anderer Ausdruck sind für Verzweiflung und Verneinung. Am Ende steigt er hinab in das »Bergwerk der Seele« (Goetz) und liefert die Offenbarung der Einsamkeit. Selbstversicherung wird zur Selbstbezichtigung. Der verhallende Schrei nach Kommunikation dürfte Rainald Goetz gefallen.
Birkenstraße 47a, weitere Infos zu Karten, Terminen und Stück unter www.dhaus.de/programm/a-z/jeff-koons/