TEXT: ANDREAS WILINK
Wie inszeniert man das – Warten, Müßiggang, Tage ohne Programm, die Unruhe über scheinbar arretierte Zeit, die Zumutungen der Monotonie? Juliette, erfolgreiche, vielbeschäftigte Modejournalistin, kommt für drei Wochen nach Kairo. Am Flughafen holt sie Tareq ab, ein früherer Mitarbeiter ihres Ehemannes Mark, und bringt sie in ihr Luxushotel. Sie besucht Mark, der in Ägypten für die UN tätig ist, aber durch ein Vorkommnis in einem Flüchtlingslager aufgehalten wird. Juliette bleibt sich allein überlassen. Worauf sie zunächst regressiv reagiert und sich in ihrer Suite einnistet, bevor sie sich auf die Straßen traut, um dort gleich als alleinstehende blonde Frau Pulks von Männern anzuziehen. Sie hat einige gesellschaftliche Kontakte; sie unternimmt eine Busfahrt nach Gaza, die an einer israelischen Kontrolle endet; und es gibt Tareq (Alexander Siddig), der sich als äußerst zuvorkommender und belebender Begleiter und Führer empfiehlt. Beiden scheint in diesem Zwischenraum vor Marks Ankunft mehr möglich. Flirt wäre dafür ein unzureichender Begriff.
Was daran dingfest wird, dass Juliette mit ihm nach der langen Nacht bei einem gemeinsam besuchten Hochzeitsfest im Morgengraun zu den Pyramiden vor Kairo geht – ein Erlebnis, das sie sich eigentlich exklusiv für Mark aufbewahren wollte. Es ist, als sei dieser intime Gang zu den steinernen Kolossen fast ein Ehebruch. Bei der Rückkehr ins Hotel steht Mark im Foyer.
Juliette, von Patricia Clarkson mit der Feinheit, Dezenz, Sensibilität und vornehmen Natur einer Henry James-Figur dargestellt, macht aus der fast unscheinbar kleinen Geschichte das vielschichtig mehrdeutige Portrait of a Lady. Nach ihrem wunderbaren Film »Sabah«, der eine moderne muslimische Immigrantin in Kanada im alltäglichen Spannungsfeld von Tradition und Selbstbestimmung zeigt, wechselt die selbst in Kanada lebende, ursprünglich aber aus dem Nahen Osten stammende Regisseurin Ruba Nadda nun die Perspektive. Die Bruchstellen zwischen Orient und Okzident werden in dem befremdlichen Reiz und Klima Kairos befühlt und regen eine andere Empfindlichkeit an.
Regie und Buch: Ruba Nadda; Darsteller: Patricia Clarkson, Alexander Siddig, Tom McCamus; Kanada, Irland, Ägypten 2009; 88 Min.; Start: 1. Sept. 2011.