TEXT: REGINE MÜLLER
Seinen Abschied von Köln hat Markus Stenz sich vermutlich anders vorgestellt: Carl Maria von Webers »Freischütz«, seine letzte Neuproduktion, ist in der Oper am Dom derart gründlich missraten, dass es sogar das verlässliche Können des scheidenden GMD mit hinab zog. Im Tempo fahrig und matt im Kolorit enttäuschte schon die berühmte Ouvertüre, zu der sich fünf imposante Waschmaschinentrommeln drehen, derweil daneben ein kapitales Geflügel im Backofen brutzelt. Dann entert der Herrenchor die Bühne: »Bauer« und »Jäger« steht auf dem Rücken der steifen Kunstfaser-Kostüme, unter denen sich Büro-Outfits mit Hosenträgern verbergen. Alsbald verschanzen sich beide Gruppen hinter umgekippten Tischen und beballern die gegenseitige Deck-ung mit Paintball-Geschossen. Platsch!, macht es fröhlich, wenn die Geschosse platzen und die Farbschlieren herunterlaufen. Alle treffen, bloß der arme Max nicht; dabei muss er doch treffen, weil nur ein Meisterschuss ihm die Hand der geliebten Agathe sichert. Doch bevor Max (mit hellem, sicher geführtem Spinto-Tenor: Andreas Schager) und der finstere Kaspar (herausragend: Oliver Zwarg, ein dämonisch präsenter Bariton) in Verhandlung um die teuflischen Freikugeln treten, trippelt der Damenchor in Barbie-Kleidchen herein und sprüht, putzt, wischt die Farbschweinerei kichernd weg. So ist das also – die Männchen ballern in kindlicher Manie, die Weiblein wuseln im Putzzwang?
Der lettische Regisseur Viestur Kairish und seine Ausstatterin Ieva Jurjāne verlegen Webers Wald- und Schaueroper in ein schrilles Varieté-Ambiente und sparen nicht mit drastischen Späßen und visueller Holzhammer-Attacke. Dabei ist die Grundüberlegung des gehypten Regie-Teams durchaus treffend, denn gewiss geht es im »Freischütz« um das dunkel Unbewusste, das in der Vormärz-Bauerngesellschaft mit ihren etablierten Rollenbildern und -zwängen brodelt. Aber grell überzeichnend und in Comic-Ästhetik, kombiniert mit der Tristesse einer Desperate-Housewives-Optik, wird keine Deutung draus. Wenn immerzu ein Kugel-Grill umtanzt wird und Agathe schon mal Stellungen aus dem Kamasutra-Buch probiert, sind die Ambivalenzen, aus denen die Abgründe des Stücks erst erwachsen, perdu. Der Banalisierung, die auch nicht aggressiv genug ist, um wenigstens zu schocken, läuft auch nicht die in riesigem Wurzelgeflecht angesiedelte Wolfsschlucht-Szene zuwider, in der sich schauerliche Clowns tummeln und Samiel als nur mit Krawatte bekleideter Joker (Renato Schuch) sein Unwesen treibt.
So verliert man schnell das Interesse an den Comicfiguren; Markus Stenz’ durchweg rasches, wenig konturiertes Dirigat kann den Spannungsabfall nicht aufhalten. Auch sängerisch ist der Abend mit Claudia Rohrbach als lyrisch weicher Agathe, der es für die dramatische Attacke an Durchschlagskraft mangelt, und Gloria Rehm als zwitschernd leichtgewichtigem Ännchen nicht optimal. Am Ende ist das Publikum so genervt, dass selbst die beherzten Buhs rasch einschlafen.