TEXT: STEFANIE STADEL
Der rechte Haken hat gesessen. Doch sofort kontert der Gegner: Ein Schleuderstoß mit seinem verlängerten Arm wirft den anderen zu Boden. Per Nahaufnahme fällt der Blick ins schmerzverzerrte Gesicht – fast k.o., spuckt der Geschlagene ekelig grüne Sauce. Es geht hart zur Sache in John Bocks Box-Persiflage. Und extrem rasant, dafür sorgen die Schwindel erregenden Schnitte und der eigens entwickelte Soundtrack des Videofilms. Körner und Cornflakes machen sich gut als belustigende Zutaten, auch Kopfsalat und Rotkraut, wenn sie plötzlich auf die merkwürdig maskierten Kämpfer niederklatschen. Die Kunst kennt viele Mittel und Wege, spielerisch zuzuschlagen – mit der Moderne wurde das Spiel immer interessanter für die Kreativen. Eine nette Palette an Medien und Möglichkeiten präsentiert jetzt das Duisburger Lehmbruck-Museum. »Spielräume« heißt die Ausstellung.
Bei Titel und Thema könnten einem Surrealisten in den Sinn kommen, die Spiele wie »cadavre exquis« nutzten, um das kritische Denken auszuschalten. Auf andere Weise wichtig werden spielerische Strategien in den Happenings und Fluxus-Aktionen der 50er und 60er Jahre, als interaktive Ideen wichtig wurden in der Kunst. Solche und andere historische Spielereien bleiben in Duisburg aber außen vor. Ebenso umgeht man den großen Bereich der interaktiven computer games, die in den letzten Jahren Stoff für manch knalliges Ausstellungsereignis boten. Das Lehmbruck-Museum entscheidet sich für die Beschränkung auf weitgehend Aktuelles, nicht Computergesteuertes. Die Schau bietet also keinen groß angelegten Überblick, sie zeichnet keine Entwicklungen nach und versucht auch keine gründliche wissenschaftliche Aufarbeitung. Man geht die Sache fast etwas spielerisch und zuweilen recht weitschweifig an.
Kunststücke zum Mitmachen steigern dabei den Erlebnisfaktor. So etwa Erwin Wurms umgebaute Museumssockel zum darauf Knien, Hineinkriechen und Herausschauen. Oder auch die beiden von Mindaugas Tendziagolskis künstlerisch interpretierten Rhönräder. Originelle Turngeräte sind das, in denen man sich rollend zwischen Lehmbruck-Museum und Spielplatz im Park fortbewegen kann. Ganz offenbar hatte der Zufall seine Finger im Spiel bei der Auswahl der 27 Künstler und ihrer gut 30 Arbeiten. Es wäre wohl kaum anders machbar – viel zu groß scheint das Potenzial an Werken, die irgendwie das beinah grenzenlose Gebiet berühren.
Die Ausstellung fächert allerlei spielerische Facetten auf: Künstlerische Rollen- und Gesellschaftsspiele werden vorgeführt und Spielorte gestreift, so von Peter Friedl, der per Diashow oft ziemlich triste »Playgrounds« in aller Welt vorstellt. Unter der Überschrift »Körperspiele« schenkt man auch Sportlern und Wettkämpfen einige Aufmerksamkeit, was wohl nicht zuletzt mit dem Anlass der Ausstellung zusammenhängt. Sie begleitet die ab 14. Juli in Duisburg und der Region stattfindenden »World Games«, das weltweit größte Sportfest der nicht-olympischen Disziplinen. Vielleicht würde sich Bocks pikanter Faustkampf mit Gemüsebeilage auch gut machen im Wettkampf-Programm.
Der 40-jährige Aufsteiger aus dem schleswig-holsteinischen Gribbohm und sein Box-Video sind in recht guter Gesellschaft. Einige prominente Kollegen begleiten Bock auf dem Duisburger Parcours. Die australische Foto- und Filmkünstlerin Tracey Moffatt zum Beispiel mit einer fotografischen Galerie olympischer Verlierer oder Mike Kelley, der im kitschigen Kinderzimmer, allzu angestrengt, Fragen sexueller Identität erörtert. Auch Sophie Calle leistet einen Beitrag – im spielerischen Dialog mit einem Roman von Paul Auster hat sie farblich aufeinander abgestimmte Speisefolgen angerichtet und abgelichtet. Das Gros der Künstler in Duisburg ist zwischen 30 und 50 Jahre alt. Doch gestattet man sich auch Ausnahmen wie den 1928 geborenen und früh verstorbenen Öyvind Fahlström.
Der künstlerische Einzelgänger aus Schweden kann als Pionier der multimedialen und interaktiven Kunst gelten. Schon in den 60ern greift er einfache Spielideen wie Puzzle oder Domino auf, um variable, von jedermann veränderbare Bilder zu kreieren. Immer wichtiger wird für den Meister dabei die politisch-moralische Message. Unübersehbar auch in seinen »Elements from ›Masses‹« von 1976. Es spielen mit: Einige Goldbarren, ein Guerillero, gezündete Bomben, eine CIA-Wanze, ein grüner Gorilla mit Glühbirne und der Unterkörper eines fetten Mannes, auf dessen Schwabbelleib sich die westliche Hemisphäre abzeichnet. Diese Einzelteile waren einmal frei verschiebbar auf der dunklen Bildfläche. Heute sitzen sie fest. Als Spielersatz steht im Lehmbruck-Museum aber ein Computer: Dank der eigens entwickelten Fahlström-Software bewegen sich Bomben, Barren und Bäuche per Mausklick über den Bildschirm.
Wie einst Fahlström so bemüht auch Christoph Draeger gerne das Puzzle-Prinzip. In seiner Arbeit »Enschede« zerstückelt er ein Pressebild vom Schauplatz der ICE-Katastrophe in rund 5000 Kleinstteile. Neben den beiden Puzzlekünstlern wird Belu-Simion Fainaru mit seinem »Pingpong« in die Duisburger Abteilung »Gesellschaftsspiele« eingeordnet. Der Künstler aus Rumänien platziert eine einfache Landkarte auf die Spielplatte und macht das Tischtennis-Match damit zur Metapher für den Nahostkonflikt. Von Fahlström bis Fainaru zeichnet sich auf dem Ausstellungsrundgang eines ganz deutlich ab: Selten scheint das kreative Spiel der Zeitgenossen völlig unbeschwert, die wenigsten Künstler im Lehmbruck-Museum spielen allein um des Spielens Willen. Vielmehr nutzen sie künstlerische Spiel-, oder besser Freiräume, greifen spielerische Motive, Orte und Ideen, Strategien und Strukturen auf, um gesellschaftliche Gegebenheiten zu kommentieren, zu kritisieren, zu persiflieren.
Auch der Kunstbetrieb bleibt nicht verschont. Besonders gut versteht sich Andrea Fraser auf bissige Bespiegelungen der Szene. Etwa wenn sie im gefilmten Live-Act selbst als Double von Martin Kippenberger auftritt und mit dem Glas Bier in der Hand eine seiner legendären Eröffnungsreden in Szene setzt. Das Outfit, der Text, die Körpersprache – alles hat Fraser aufs Genaueste recherchiert. Im Kunstumfeld findet auch Florian Slotawa seinen Spielraum. Der 33-jährige Newcomer aus Rosenheim übt sich im alternativen Museumsbesuch. Auf die Plätze, fertig, los geht es im Sprint durch Flure und Galerien, Säle, Kabinette und Treppenhäuser deutscher Ausstellungshäuser. Die Videokameras laufen. Rechts unten auf dem Monitor ist die Uhr eingeblendet. Sie läuft, läuft und stoppt den Künstler auf die Hundertstelsekunde exakt. Slotawa ist der Schnellste, der konkurrenzlose Rekordhalter in dieser noch nicht olympischen Disziplin.
Bis 4. September 2005. Tel.: 0203/283-26 30. www.lehmbruckmuseum.de