Jürgen Gosch lässt sich alle Zeit der Welt. Er schlendert durch das Stück, rastet, schaut sich aufmerksam um. Absichtslos. Ziellos. Fast mit Goetheschem Blick für die Phänomene, nachspürend der Natur des Menschen, seinem kuriosen Wesen, seinen Eskapaden, Katastrophen, vergeblichen Anstrengungen.
Kein Ort für die Liebe als barocke Sinnenlust ist der für »Was ihr wollt« an die Bühnenrampe des Düsseldorfer Schauspielhauses gerückte raumhohe, leere Kupferkasten, dessen spiegelblanke Flächen sogleich vom Herzog Orsino (Guntram Brattia), der sich die Ärmel hoch krempelt, schwarz gestrichen werden. Während so eine (übrigens auch akustisch sehr vorteilhafte) Blackbox entsteht, dunkelt sich der Zuschauersaal allmählich ein.
Es wäre wert, zu untersuchen, inwiefern Gosch und sein Ausstatter Johannes Schütz sich in ihren gemeinsamen Aufführungen an der Bildenden Kunst orientieren. Wenn das schimmernde Metall sich mit Schlieren überzieht, übermalt scheint, Strukturen entstehen und andere Farbigkeiten, muss man an Twombly denken, an Pollock und an Installationen von Beuys, etwa seinen »Palazzo Reale« in der Kunstsammlung NRW.
Seit Jahren nähert sich Gosch Shakespeare wie dem anderen von ihm bewunderten Autor – Samuel Beckett. Er räumt die Dramen radikal auf und aus, meidet historische, soziale, symbolische Setzungen. Und das mit einer enormen Sicherheit im Führen, im Halten, im Lassen. Gosch ist gewissermaßen der Erich Fried unter den Shakespeare- Regisseuren: Es ist, wie es ist …, pur, existenziell, elementar. Es kommen, sehr unaufwändig, einfache Mittel ins Spiel, ob nun die Ursuppe mit Blut und Schlamm hoch kocht wie 2005 in seinem »Macbeth« oder wie jetzt schwarze Farbe und ein paar Eimer mit Wasser für den Schiffbruch an der Küste Illyriens und Wasserschläuche, aus denen der typisch englische Regen sprüht, den auch im Epilog Shakespeares Narr herbei zitiert.
Wir sehen (gleichgültig gegenüber einigen Längen) über vier Stunden hin total entspanntes, lässiges, aber robustes, im besten Sinne sich selbst genügendes, auf sich selbst geworfenes Theater- Spiel, dem man sich überlässt, als wohne man einer musikalischen Session oder einer Meditation bei. Die Situationen entwickeln sich vollkommen natürlich, so dass einem der Text ganz neu begegnet. Die in keiner Sekunde routinierten elf Schauspieler sitzen in der ersten Reihe, bis sie ihren Auftritt haben, kramen ihre Sachen aus Plastiktüten und ziehen sich um, streifen Badeschlappen oder Gummischuhe über. Sie sind da, beglückend präsent, souverän, grandios in ihrem Potenzverschleiß. Voran die überwältigende Katharina Lorenz als Viola / Cesario, anmutig, von körperlicher Intelligenz, die ideale Gosch-Schauspielerin, mit der er bereits in Hannover gearbeitet hat; Horst Mendroch als Clown, der zweimal auf der Mundharmonika spielt, in einen tollen Tanz gerät und seine weltklugen Sätze schlicht und beiläufig sagt. Es gelingen hinreißende Momente, zum Bespiel, wenn der Kapitän des Rainer Galke plötzlich in die Knie geht und als nackter Amor seine Pfeile treffsicher abschießt; wenn Michael Abendroth über den glitschigen Boden krault; wenn Fritz Schediwy – als Malvolio im grauen Hausmeisterkittel – allein für die Briefszene sich zwanzig Minuten herausnimmt, mit Grandezza über die Buchstaben stolziert und sie wie Delikatessen auskostet und am Ende unversöhnt – »verdammtes Pack« – abgeht.
Gosch übernimmt Tempo und Timing des Stummfilms, des Slapsticks, die ja keineswegs immer fix ablaufen. Die Trockenheit des Humors, die Zeitlupe des Spiels, die absolute Präzision und Knappheit (auch und besonders in den Tölpelszenen von Matthias Leja und Abendroth als Sir Toby und Sir Andrew) erinnern an Buster Keaton. In Woody Allens »Verbrechen und andere Kleinigkeiten « sagt Alan Alda: »Komödie ist Tragödie plus Zeit«. Damit wäre dieser Düsseldorfer Shakespeare präzise beschrieben, der neben allem anderen von großer Schönheit ist.
Das komplette Gegenteil davon in Bochum. Eigentlich müsste man sich eine derart nahe liegende Pointe verkneifen und dürfte nicht von Bruchlandung oder Absturz sprechen, wo schon metapherngerecht ein auseinander gebrochenes Flugzeug-Wrack auf der Bühne des Schauspielhauses (Silvia Merlo / Ulf Stengl) liegt. Der Flieger ging im Wald von Arden unplanmäßig nieder.
Weil aber dieser billige Wortbildeffekt so sehr dem Abend und seiner ranschmeißerischen Absicht entspricht, sei es getan. Elmar Goerden trudelt mit »Wie es euch gefällt« ins Bodenlose. Dass eine solche Aufführung am Schauspielhaus Bochum möglich ist, wo Zadek, Steckel, Haußmann, um nur diese drei Intendanten-Vorgänger zu nennen, Shakespeare prägten, dass überhaupt ein ernst zu nehmender Regisseur derartig altbackenen, nicht einmal trashigen Klamauk einer Komödie inszeniert und mehrere Jahrzehnte Auseinandersetzung mit dem Dramatiker ignoriert, bleibt unerklärlich. Dabei hätte Shakespeare es nötig, an der Ruhr wieder sichtbar zu sein, nachdem er schon in der Hartmann-Ära spurlos verschwand.
Man erlebt falsches Lachen, falsche Töne, falsche Munterkeit. Es sieht zunächst nach Countrylook aus. Dann hämmern Disco-Beats, eine Konfetti- Kanone schießt Goldpapier ins Parkett, kurz vor Finale wird Fliegeralarm die Notgelandeten, Exilanten und Liebeskranken zu Boden werfen. Die Musik wechselt konfus von »MASH« zur Wiener Klassik, um sich mit Dean Martin ins Happy End zu ölen: »Tingelingeling, that’s amore«. Alles aus der Luft gegriffen. Nichts stimmt. Nichts passt zusammen. Aber macht viel Umstände. Die Regie reißt ständig die Seitentüren zum Foyer auf, um die Schauspieler hereinzuholen, was man buchstäblich nehmen kann: Die Aufführung hat keine Mitte. Tobt sich auf Nebenschauplätzen aus. Dass Celia (Anna Schäfer), des eines Herzogs Tochter und Busenfreundin des verbannten Herzog- Bruders Tochter Rosalind (Claude de Demo), als Behinderte im Rollstuhl sitzt, ist nichts als ein Vehikel-Bild, das sich in keine inhaltliche oder psychologische Richtung bewegt. Das in die Radspeichen des fahrbaren Untersatzes gepinselte Wörtchen »Fun« erklärt sich zum Ziel der drei leer laufenden Stunden. Goerden lässt sich auf nichts ein, findet keine Form, interessiert sich für kein Gefühl. Die Aufführung hat nicht mal Logik in der selbst behaupteten Setzung der Situation. Einzig Margit Carstensen als melancholischer Jaques – herb, bitter, mürbe und filigran – wirkt wie eine kostbare Kuriosität. Am Ende wünscht sie den vier Brautpaaren »Viel Spaß« und plädiert vergeblich »für Geist«. Ihrem Wunsch lässt sich aus vollem Herzen zustimmen. //