// 2004 tauchten Anna K.E. und Florian Meisenberg an der Kunstakademie Düsseldorf auf. Sie waren jung, schön und verliebt (sie sind es noch). Mit der Liebe brach sich gleichzeitig das Kreative Bahn. Florian Meisenberg vergleicht den Vorgang mit einem »Staudamm«, der sich unvermittelt geöffnet habe. Anna K.E. zeichnet, malt und baut seitdem an ihrer »fließenden Architektur«, als gäbe es kein Halten. Ihre Beziehung spiegelt sich in der Produktivität.
Anna K.E., geboren 1986, ist vorbelastet: als Tochter von Gia Edzgveradze und Keti Kapanadze, zwei berühmten Künstlern aus Tiflis. Der Vater bespielte als erster Georgier den russischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. Ihre Stiefmutter Tamara K.E. wiederum vertrat später Georgien in den Giardini. Die Großmutter, eine legendäre Schauspielerin in Georgien, hat ihrer Enkelin, erzählt diese, jüngst die Summe ihres Staatspreises geschenkt, damit sie weiterhin wie besessen in ihrem Atelier arbeiten kann, ohne jobben zu müssen. Anna, derart in die Welt der Kunst hineingeboren, hat ihr Können spielend gelernt. »Wir hatten einen riesigen Tisch, und ich saß darauf auf meinem Block Papier, das ich vom Kindergarten mitbrachte«. Mit neun Jahren kam sie nach Deutschland – und traf ihren Vater. Der schlug vor, »mach mal eine Porträtzeichnung. Ich wusste nicht einmal, was das ist, weil meine Mutter mir nie etwas beigebracht hatte. Sie propagierte die freie Geistesentwicklung. Also habe ich meine Großmutter in einem Strich gezeichnet. Alle waren begeistert, und ich war sehr überrascht, dass ich ganz realistisch zeichnen und nicht nur etwas erfinden konnte.«
So fing Anna an, vor Originalen in Museen zu zeichnen. Oder Bilder aus Kunstbüchern zu kopieren: »Jeden Tag sechs Stunden lang. Ich habe gelernt, was Kultur ist, habe mir ein Paket aus der Kunstgeschichte zusammengeschnürt. Der Humanismus eines Bruce Nauman ist mir seither ein Vorbild.« Längst ist sie ihren Akademie-Kommilitonen weit voraus. Aus der traumwandlerisch sicheren persönlichen Entwicklung wird ein Prinzip: »Ich bin nirgends ein Profi. Eigentlich sollte man überall Amateur sein.«
Englisch hat sich die Halbwüchsige in vier Wochen angeeignet, Deutsch lernte sie auf einem Stuttgarter Gymnasium. Mit sechzehn Jahren bewarb sie sich heimlich mit einer Mappe an der dortigen Kunstakademie. Sie wurde aufgenommen. Als die Professoren erfuhren, wie jung sie ist, musste die Mutter unterschreiben, dass alles rechtens sei. Anna verabschiedete sich nach zwei Jahren mit einer Arbeit, die sie in der Metallwerkstatt sägend, schweißend und lackierend hergestellt hatte. Fast schon ein Abschluss-Stück. Sie wechselte nach Düsseldorf, flog aus der Kiecol-Klasse heraus, wo man sich durch ihr Tempo gestört fühlte, und landete bei Georg Herold, der sie bewundert und behütet.
Um mit ihrer Kunst und ihrem Arbeits-Eifer nicht abermals anzuecken, nahm Anna K.E. sich ein eigenes Atelier, begünstigt durch ein Stipendium des Rotary-Clubs. Sie baut nonstop Fragmente, die sie erst dann zusammensetzt, wenn sie den Ausstellungsraum kennt, um auf die jeweilige Situation zu reagieren. Außerdem zeichnet sie auch heute noch mindestens drei Stunden täglich – mit dem Stift oder dem Pinsel auf Papier klären sich alle Fragen. Beim »Pilot Projekt für Kunst« in einem Atelierhaus in Düsseldorf-Reisholz, stellte sie mit ihrer Stiefmutter Tamara K.E. aus. Sofort begriff Anna die Probleme des durch Säulen verstellten, durch zu viele Fenster unruhigen Off-Raums, umsäumte ihn mit einem Band aus weißen Kacheln und gab ihm Kontemplation.
Die weißen Kacheln auf Holz wurden zu ihrem Markenzeichen. Sie wirken glanzvoll, akzentuieren Räume, aber besetzen sie nicht, wie Skulpturen es tun würden. Wie ist sie auf diese Kachel-Bänder gekommen? Als junges Mädchen habe sie viel getanzt und fast nie geschlafen. »Um wieder klar im Kopf zu sein, bin ich auf die Toilette gegangen. Die Kacheln wirkten wie eine Katharsis. Auch heute noch dienen mir Kacheln zur Klärung. Sie haben auch etwas mit Unendlichkeit zu tun, die Fliesen könnten unendlich weiter gehen. Zudem hat die strenge Struktur etwas Männliches.« Reflexion und Spontaneität gehören für Anna K.E. zusammen.
Beim Akademie-Rundgang 2009 zeigte sie einen provisorischen Unterstand, wie er sich als überdachter Platz an einer Haltestelle vorstellen ließ. Kein Wartehäuschen für Reklame, weil es gar keine Wände zum Plakatieren hat. Es würde auch nicht vor Wind, allenfalls vor Regen schützen. Das Dach war mit einem abgesägten Baumstamm und einer roten Papprolle hoch gebockt. Als dritte Stütze diente ein Konstrukt aus gekacheltem Holz, die sich krakenartig unter dem Dach hinweg über den Boden schob und doch zugleich das labile Ganze hielt. Erst beim zweiten Blick wurde deutlich, dass das Schutzdach aus einer simplen Matratze bestand, mit blauem Stoff bezogen und auf der Oberfläche grasgrün lackiert wie eine Wiese, auf den der abgeknickte Federballschläger passte, der dort platziert war. Das Objekt tat also nur so, als ob.
Anna K.E.’s dreidimensionale Kompositionen sind vielgestaltig, sie vermitteln oft zwischen dem Innen- und Außenraum, Ruhe und Bewegung. Es gibt aus Holzbalken verschraubte Schatzhäuser, Treppen, die zu Engeln führen, einen U-förmigen Hohlkörper, der sich ideal zur Skaterbahn eignete.
Für den 28-jährigen Florian Meisenberg ist es »immer noch ein Mysterium«, woher die Energie seiner Freundin kommt. »Ihre Arbeiten sind sehr offen. Es gelingt ihr, den Raum nicht zu besiegen und nicht zu besetzen, sondern eins zu werden mit ihm, was sehr schwierig ist.« Er ist nicht der einzige, der hofft, dass sich ihre scheinbar spielerischen, klar konstruierten Installationen eines Tages in einer urbanen Situation bewähren können.
Der gebürtige Berliner behauptet gleichfalls von sich, sein Leben lang nur gezeichnet zu haben. Zunächst absolvierte er ein zweijähriges Studium an einer privaten Universität seiner Heimatstadt und machte sein Diplom als Medien-Designer. Nach dem Zivildienst in einem Kinderladen bewarb er sich vergebens an der Berliner UdK. Seit er in Düsseldorf ist, malt er unterm Akademie-Dach in Raum 301 der Peter-Doig-Klasse komische, humorige, poesievolle Bilder. Mit dem Pinsel umrundet er das Wort »Universe«, schenkt der Umrandung eine Zitze und schiebt ihr einen illusionistisch gemalten Daumen entgegen. Man meint, der Finger werde mitsamt seinen akkurat gemalten Hautfalten gleich gegen die Zeichnung stoßen. Er piekst etwas an, das sich gar nicht fassen lässt.
Aus einer Batterie von Tuben drückt er Farben ungemischt auf die Leinwand. Mit jedem Stück Farbwurst entsteht ein Häufchen auf dem Untergrund, zugleich tritt das Öl aus der Farbe und fügt sich zu einem Hof. Eine Mandorla als Fettfleck. In manchen Bildern ist die Farbe so pastos aufgetragen, dass sich Craquelés und Verwerfungen bilden und die Strukturen an Landschaften erinnern. Die Silhouette einer Bergkette mit Bäumen funktioniert wie ein Vexierbild, auf dem die Natur gleichzeitig als Gesicht im Profil mit Augenbrauen und Bart erscheint.
Den Boden des Klassenraums bedeckt ein Riesenformat mit diversen Farbspritzern. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er das Bild hin und her gedreht, bis die Tropfen verliefen. Nun sieht es aus, als sei die Fläche von Spermien oder Froschlaich bedeckt. Oder das fremde Bild mit der Malseite zur Wand, das niemandem in der Klasse zu gehören schien. Meisenberg hat es okkupiert und den Rücken mit einer stehenden Katze bemalt. Lustig und lässig lässt das Tier Pfote und Schwanz über den Keilrahmen hängen, als wolle es sich aus dem Zwinger-Geviert befreien: Spiel mit der Formatierung. Auch dies ein »als ob«.
Meisenbergs Bilder inszenieren göttliche Komödien, vor allem, wenn es um die Liebe geht. Zwei spindeldürre Pinocchio-Figuren messen sich mit überlangen Nasen, als würden sie im Duell die Klingen wetzen, und dringen dabei allmählich aus einem dick-pastigen Champagnergelb hervor. Die Figuren sind mit Dachlack, einer dunkelbraunen Teerfarbe, gemalt, die nach einiger Zeit die Ölfarbe durchdringt. Das Ergebnis ruft die Atmosphäre attischer Vasen auf, zumal die Körper – wie die antiken Vorbilder – ungeniert akrobatische Leibesübungen treiben. Ein überdimensionales Stillleben mit zwei Stühlen und Tisch samt dickbauchiger Vase wirkt zunächst untypisch für ihn. Doch dann entdeckt man den Witz, der stets seine Arbeiten begleitet: eine Fliege kurvt durchs Bild, deren Flugspuren Lasso-Schlingen zu werfen scheinen, und die man summen zu hören meint.
Beim kürzlich absolvierten Jahres-Rundgang zeigte Meisenberg ein Wimmelbild mit Schmetterlingen. Jedes Phantasietier besitzt eine andere Gestalt, zusammen fügen sie sich zur Landschaft und scheinen auf einem Fundament zu schwirren, das von Anselm Kiefer hätte stammen können. Dessen schrundige, ausgetrocknete Erde wird dabei mit übertriebenem Illusionismus zitiert und so der tiefgründige Symbolismus Kiefers ironisiert.
Man will nicht nur verliebt sein, sondern auch etwas zusammen machen. Anna & Florian, die eigentlich getrennt arbeiten und sich ihre Erfolge wechselweise gewiss nicht neiden müssen, hecken schon mal gemeinsame Projekte aus. Dazu gehört die »GALLERY HASEN«, mit der sie den Audi Art Award 2008 gewonnen haben. Nach langen Diskussionen und etlichen Fahrten zum Bauhaus, die nichts brachten, entstand schließlich ein virtuelles Projekt, das zugleich das Galeriewesen persifliert. Zu verstehen als eine Art transparentes Medium, das sich unter dem Deckmantel einer fiktiven Galerie und stets aufs Neue unter anderen Vorzeichen verdichtet und mit verschiedenen Personen und Institutionen interagiert. Der so entworfene »Kunstraum« erlaubt jenseits kultureller, sozialer, psychologischer, finanzieller und realer Grenzen gemeinsames kreatives Kooperieren. Inzwischen haben sie schon ein zweites Hasen-Projekt in die Welt gesetzt, da spielen gar die toten Helden Beuys, Blinky Palermo und Kippenberger als Juroren mit.
Die Zwei wissen halt, wohin der Hase läuft. Bei ihnen und ihrem Tempo würde der Vierbeiner vermutlich, anders als im Märchen, selbst als erster im Ziel eintreffen und sagen können: »Ik bün all hier«. //
Anna K.E. und Florian Meisenberg werden von K.WEST auf der Art Cologne präsentiert, sie sind persönlich am Stand anzutreffen und haben eine spezielle Edition kreiert, die in kleiner Auflage erworben (180 bzw. 200 Euro) oder vergünstigt in Kombination mit einem K.WEST-Abo bestellt werden kann. Meisenberg wird auf der Kölner Messe außerdem von der Galerie Tanja Pol, München, vertreten sein (»New Contemporaries«, Halle 11.3/ Gang F/ Stand-Nr: 020).