TEXT STEFANIE STADEL
Sie betten sich in eine Art Gruppenschlafsack, nebeneinander auf dem Museumsboden. Kurz darauf kriecht einer nach dem anderen durch einen Stoffschlauch – der Künstler im karierten Hemd macht’s vor. Was sich alles anstellen lässt mit jenem »1. Werksatz«, den Franz Erhard Walther in den 1960er Jahren zusammengestellt hat! Auch draußen auf grünen Hügeln führt er die »Werkhandlungen« vor, verschwindet etwa unter einer lebensgroßen Ganzkörperhülle oder lässt eine junge Frau in seitlichen Schrittchen bedächtig eine lange Stoffbahn begehen. Immer wieder hat er solche Gebrauchsanweisungen filmisch festgehalten.
Auch im Museum Morsbroich lassen seine Videos den legendären »Werksatz« lebendig werden. Das textile Equipment dazu liegt derweil ordentlich gefaltet im Holzregal – Walther nennt das »Lagerform«. Der Ausstellungsraum ist abgedunkelt, zu den Öffnungszeiten behält ein Wachmann die kostbare Leihgabe aus dem Kunstmuseum Bonn im Auge. An Einsacken oder Durchkriechen ist nicht mehr zu denken. Trotzdem muss Walthers Werk natürlich dabei sein, wenn das Thema Partizipation auf dem Programm steht. Ist der 1939 in Fulda geborene Künstler doch ein Pionier der Mitmach-Kunst. In Leverkusen trifft er auf allerhand Kollegen, beinahe ausnahmslos jüngere, deren Werke die Handlung des Betrachters fordern.
Franz West etwa ist mit ein paar »Passstücken« aus Epoxydharz vertreten. Es sind eigens angefertigte Ausstellungskopien, deshalb spricht auch nichts dagegen, sich die dicken schweren Platten mit dem Loch in der Mitte um den Hals zu hängen. Gemütlich ist das allerdings nich, noch dazu ziemlich eigenartig wirken die Verrenkungen, zu denen die drückende Last auf den Schultern nötigt. Noch komischer wird es bei Erwin Wurm, der das Publikum gleich mehrfach auf seine weißen Sockel lädt. Auch paarweise. Dazu legt der Künstler zum Beispiel vier Putzmittelflaschen bereit, die sich seine Probanden gleichzeitig zwischen die Körper klemmen sollen – ein verzwicktes Unterfangen.
So geht es weiter mit einem Tischtennismatch oder einer Trommelsession auf Kochtöpfen. Man kann kaputte Tassen zusammenkleben, eine Kugel per Stimme durch ein Labyrinth manövrieren oder mit dem eigenen Körper Schattenbilder schaffen. Als Bespaßung möchte Kuratorin Stefanie Kreuzer das alles nicht verstanden wissen. Weiterhin droht die Schließung des Museums Morsbroich. In dieser Situation möchte sie mit der Schau vor allem Fragen stellen nach der Teilhabe des Betrachters und der Rolle der Institution Museum in der Stadtgesellschaft. Ein schönes Bild dafür liegt im Entree: Auf dem Fußboden hat Mischa Kuball eine Art Teppich ausgebreitet, der zuvor zwei Wochen lang vor der Rathausgalerie in Leverkusen lag und auf dem Passanten Spuren hinterlassen haben.
Vor allem unter den Jungen scheint der Ehrgeiz verbreitet, uns aus der passiven Ecke zu locken. Vielleicht liege das auch im digitalen Zeitgeist begründet, so eine Idee von Kuratorin Kreuzer. Die sozialen Netzwerke machten die Teilhabe eines jeden schließlich immer selbstverständlicher.
Sicher sind es Entwicklungen, die einen wie Franz Erhard Walther stärker in die Wahrnehmung rücken. Museen weltweit entdecken ihn seit einigen Jahren wieder, auch in Nordrhein-Westfalen war er seit 2011 stark vertreten mit Ausstellungen in Herford, Krefeld, Bochum. Seit April kommt Walther in Madrid groß heraus, zur Krönung erhielt er den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig. In dem Trubel könnte man fast vergessen, dass Aachen ihm schon im Herbst 2016 seinen Kunstpreis zudachte. Am 1. Juni wurde er im Ludwig Forum feierlich verliehen und gleichzeitig eine kleine Walther-Schau eröffnet. Dort, wo an dem Abend kurz zuvor noch die Gäste saßen, um der Laudatio zu lauschen, war Walther in Erzähllaune anzutreffen.
Die Story vom Fluxusfestival 1964 in Aachen muss er loswerden. Joseph Beuys oder Wolf Vostell waren damals in die Aula des Audimax eingeladen. Nicht aber er selbst. Walther – damals Mitte zwanzig und noch Student an der Düsseldorfer Akademie – durfte nur zuschauen. Weil ihn das fuchste, zog er sich mitten in der Veranstaltung Schuhe und Strümpfe aus, stieg über die Köpfe des Publikums hinweg und verteilte aus einer Sprühdose großzügig Tannenduft im Raum.
Keine leichte Zeit für den jungen Mann. Kaum einer nahm ihn ernst. Was haben die Kommilitonen in der Klasse von K. O. Götz gelacht, als er 1963 nach den Semesterferien mit ersten genähten Arbeiten ankam. Gerhard Richter und Sigmar Polke hätten eher locker gespottet. Professor Beuys sei ihm mit echter Häme begegnet. Noch schlimmer: Beuys habe sogar verhindert, dass Galerien den Kollegen vorließen. Walther indes war sich seiner Sache ganz sicher: Für ihn sei die Entdeckung der kunstgeschichtlich völlig unbelasteten Baumwolle und der in der Bildenden Kunst ungewöhnlichen Technik des Nähens einem Befreiungsschlag gleich gekommen.
Gut möglich, dass er die folgenreiche Entdeckung der Heirat mit einer Schneidertochter zu verdanken hat, die fortan für ihn nähen sollte. Zuerst daheim, bald in den USA, wo während der 60er Jahre offenbar ein besseres Klima für ihn herrschte. 1969 zog er mit seinem »1. Werksatz« zum entscheidenden Auftritt ins Museum of Modern Art ein. Ein paar Jahre später erst wurde die deutsche Szene wach.
Anfang der 70er heimgekehrt, folgten für Walther vier Teilnahmen an der documenta in Kassel. Als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg unterrichtete er künftige Erfolgskünstler wie Martin Kippenberger, John Bock oder Jonathan Meese. Seit gut 15 Jahren spürt der Künstler aber erst breiteres Interesse, das ständig wächst. Junge Künstler fliegen auf ihn, Kuratoren stehen Schlange. Überall fällt er auf. Auch letztes Jahr bei der Manifesta 11 in Zürich, wo das Personal des Park-Hyatt-Hotels mit seinen knallorangen Jacken herumlief, die, exakt halbiert, nur einen langen Ärmel hatten. Im Alltag hätten solche Kleidungsstücke eine gewisse Fremdheit, gestand Walther, doch wirkten sie nicht »exzentrisch« oder »kostümhaft«.
Inzwischen leistet er sich und seiner Frau ein Anwesen am Fuldaer Klosterberg. Über 8000 Quadratmeter mit Weinberg und drei Gebäuden seien bezahlbar gewesen, wie er betont. Im lichten Atelier kann er in aller Ruhe zeichnen und entwerfen. Das Nähen erledigt nach wie vor Walthers erste Frau Johanna, die schon den »1. Werksatz« unter der Maschine hatte. Ums Organisatorische kümmert sich die zweite, Susanne. Auch die Auswahl der rund 70 Werke aus fast 60 Schaffensjahren in Aachen hat sie getroffen. Da sieht man etwa drei »Kappen auf Pflöcken«. Dicke Hauben, die der Benutzer über den Kopf ziehen sollte, um sich damit – quasi blind, taub und an eine Schnur gebunden – im Kreis zu bewegen.
Wie kann Walther damit leben, dass seine Kunst zwar für die Handlung gedacht ist, aber in Ausstellungen heute meist nicht mal mehr angefasst werden darf? Auf solche Fragen ist er gefasst. »Das war von Anfang an kalkuliert«, erklärt er, »schon in den 60ern war mir klar, dass die Lagerform die wichtigste Werkform ist«. Wenn er von seiner Kunst spricht, benutzt Walther wie selbstverständlich ein eigenes Vokabular. Spricht von »Werkstück«, von »Werkhandlung«, von »Werklagerung«. Oder von der »Lagerform als Werkform«. Denn nicht nur in der Handlung, auch in der Lagerung vollendet sich sein Schaffen.
Den Begriff partizipative Kunst, mit dem seine Arbeit oft umschrieben wird, lehnt er dagegen ab. Eigentlich sei er zu konventionell für ihn. Schließlich gehe in seiner Kunst nicht um bloße Teilhabe, vielmehr könnten seine Werke überhaupt erst durch die Handlung des Publikums entstehen. Dem Betrachter komme also eine viel aktivere Rolle zu. Am Ende unterscheide er sich vielleicht gar nicht so sehr vom Künstler selbst.
Wie deutlich sich solche Ideen fortschreiben im Werk jüngerer Kollegen, wird man auch in Duisburg nachvollziehen können, wo Erwin Wurm gleich doppelt präsent ist mit seinem überaus weit gefassten Skulptur-Begriff, in dem der Bank-Manager mit Spargelstangen in den Nasenlöchern ebenso Platz hat wie der Theaterintendant, der mit freiem Oberkörper im Erdloch steckt. Nasebohren, Zunge zeigen, Hand in den Hosenschlitz stecken – so macht man sich bei Wurm zum Skulpteur seines Körpers.
Mit großem Wohlgefallen beobachtet Walther das Fortleben seiner Prinzipien. Erzählt freudestrahlend von den Zwanzig- oder Dreißigjährigen, die angesichts seiner Werke in Venedig begeistert den Daumen nach oben drehten. Mit der eigenen Generation alt werden? Das sei ihm nun doch zu langweilig.
»FRANZ ERHARD WALTHER. HANDLUNG DENKEN«
LUDWIG FORUM, AACHEN
BIS 29. OKTOBER 2017
TEL.: 0241/1807104
»DUETT MIT KÜNSTLER_IN. PARTIZIPATION ALS KÜNSTLERISCHES PRINZIP«
MUSEUM MORSBROICH, LEVERKUSEN
BIS 3. SEPTEMBER 2017
TEL.: 0214/855560
ERWIN WURM
LEHMBRUCK MUSEUM, DUISBURG
BIS 29. OKTOBER 2017
TEL.: 0203/2833206
MUSEUM KÜPPERSMÜHLE, DUISBURG
BIS 3. SEPTEMBER 2017
TEL.: 0203/30194811