Ein schattenloser Kinderspielplatz, umzingelt von Häusern. In dieser Siedlung in Winterberg gibt es keinen Baum mehr weit und breit, obwohl sie in einer der größten Waldregionen des Landes liegt. Hier hat jedes Wohnzimmer denselben Zuschnitt, jedes Fenster und jede Tür. Hier verfügt jedes »Komfort- und Luxus-Ferienhaus«, wie es auf der Internetseite des Urlaubsanbieters heißt, über die immer gleiche Gartenbestuhlung mit dem immer gleichen Sonnenschirm. Hans Blossey hat das fotografiert, was man im Touristik-Jargon »kalte Betten« nennt. Häuser, die nur von Feriengästen bewohnt werden. Die im Sommer oder während der Skisaison mit Menschen überflutet sind, während sie in den verregneten Frühjahrs- und Herbstmonaten oft leer stehen. »Von oben sehe ich, wie an solchen Orten die Lebensqualität schwindet und welche Dörfer noch gut funktionieren«, sagt der wohl bekannteste Luftbild-Fotograf Nordrhein-Westfalens. Und er meint damit auch diese Häuser in Reih und Glied, die gewachsene Ortschaften verdrängen. Weil in ihnen keine Gemeinschaften existieren, und wenn ja, dann nur auf Zeit.
»Ich habe dem Ruhri gezeigt, wie seine Heimat aussieht.«
Hans Blossey
Willkommen im Sauerland! Hans Blosseys jüngstes Buch dreht sich um eine Region, die klischeehaft nur aus Bäumen und Hügeln besteht. Wenn nicht jemand wie eben er sie vor die Kamera bekommt. Aus der Luft, versteht sich. Denn Blossey ist Fotojournalist seit Jahrzehnten, der seine Geschichten aus dem Flugzeug erzählt. Von Seen etwa, die in riesigen Naturschutzgebieten liegen, aber alle künstlich sind. Oder von uralten Dörfern, die noch immer so daliegen wie vor hunderten von Jahren. Im Klartext Verlag sind in diesem Jahr noch zwei weitere Bände von ihm erschienen: über den Niederrhein, an dem Blosseys Kamera die Schönheit des immer breiter werdenden Stroms feiert oder versandete Altrheinarme aufspürt. Und über das Ruhrgebiet, sein ewiges Motiv.
In Essen ist Blossey zur Welt gekommen, in Hamm lebt er mit seiner Familie. »Ich habe dem Ruhri gezeigt, wie seine Heimat aussieht«, sagt er selbstbewusst, aber ein Stück weit ist es auch wahr. Nach einem Fotovolontariat bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung war er lange für die Bilder auf der Seite Eins des Medienkonzerns verantwortlich. Die Zusammenlegung von Firmen, das Zechen- und Stahlwerksterben, der Strukturwandel – das alles hat er hautnah am Boden dokumentiert, ehe er 2009 die Festanstellung an den Nagel hing, um frei zu sein. Und zu fliegen.
»In Bottrop senkt sich das Land heute 15 Meter tiefer durch den Bergbau ab«, erzählt der 66-Jährige, der seit 1983 mit gleich drei Fluglizenzen und seit 1988 mit einem eigenen Flieger ausgestattet ist. Sicher, heute gebe es weniger rauchende Schlote als früher. Aber noch immer legt ihm die Schwerindustrie einen ekeligen Schmier auf die Flugzeugscheiben, reihen sich die Kraftwerke wie an einer Perlenschnur den Rhein entlang. Auf seinen Bildern zeigt sich eindrucksvoll, dass der Zweite Weltkrieg zwar ganze Innenstädte in Schutt und Asche legte, aber selbst in Dortmund oder Hamm die mittelalterliche Stadtstruktur noch immer sichtbar ist.
Wer sich eine Ortschaft schon einmal über »Google Earth« herangezoomt hat, der kennt diesen Effekt: Da fliegt die Erde nach ein paar Mausklicks wie eine große Christbaumkugel heran, Kontinente erscheinen, Länder und Landstriche, ehe man punktgenau landet, am gewünschten Ziel. Das wirkt meist allerdings irgendwie fremd, denn Aufnahmen aus der Luft erfordern naturgemäß auch eine andere Sicht: »Während sich des Wanderers Blickwelt in horizontaler Richtung körperlich aufbaut, schrumpft die des Fliegers aus vertikaler Richtung zur Fläche«, hatte dieses Phänomen schon 1959 der »Fliegerdichter« Peter Supf in einem Essay zu »Deutschland im Luftbild« beschrieben.
Blossey kennt das nur zu gut: »Bei Luftbildern lassen sich keine Vordergründe inszenieren.« Sie aber würden einem Bild, das am Boden entsteht, erst Tiefe verleihen. Über all die Jahre habe er daher das Sehen neu lernen müssen. Hans Blossey hält nicht einfach nur die Kamera aus dem Fenster, er verdichtet die scheinbar leicht eingefangenen Momentaufnahmen aus mehreren Metern Höhe zu eindrucksvollen, oft grafischen Kompositionen. Da formen die Schatten einer Allee goldene Schnitte auf den Acker, da zeichnet die Ruhrbrücke bei Mülheim die flimmernde Linie des Horizonts im frühen Morgenlicht nach. Wimmelbilder wie mit tausenden knallig-gelben Borussia-Dortmund-Fans, die dicht an dicht auf dem Friedensplatz feiern, sind dankbare Motive. Aber bei Hans Blossey braucht es immer wieder einen zweiten Blick, um die Rücken einer Schafherde auch als solche zu erkennen oder dahinter zu kommen, was die kleinen bunten Elemente auf einer gerasterten Wiese eigentlich sind. Ein Volksfest? Handtücher auf einer Freibad-Wiese? Es sind Zeltdächer beim Ruhrpottrodeo in Hünxe, dem größten deutschen Punk-Festival.