TEXT STEFAN LAURIN
Dass Nordrhein-Westfalen ein Pferdeland ist, zeigt sich schon bei Ansicht des Landeswappens: Neben dem geschlängelten Rhein und der Lippischen Rose ist auf rotem Grund ein springendes Ross zu sehen. Ein Sachsenross, mithin Symbol des Volksstammes, den Karl der Große so freundlich behandelt hat wie die US-Kavallerie die Indianer. Aber wir wollen dieses Thema nicht zu Tode reiten.
Warendorf wird wie kein zweiter Ort hierzulande vom Pferd bestimmt. Selbst Hörgeräteakustiker werben mit Pferdestatuen auf ihren Garagendächern, um die gegen Taubheit ankämpfende Kundschaft herbeizulocken; aus Gebüsch und Wäldchen starren sie den Besucher des Kreisstädtchens bei Münster an. Das 1826 von Preußen gegründete Landesgestüt Warendorf hält 75 Deckhengste vor und betreibt weithin zahlreiche Besamungs-Stationen. Es ist eines der wenigen landeseigenen Unternehmen, das Gewinn macht. Die Deckhengste haben international einen guten Ruf. Sogar Potentaten wie der Emir von Katar schätzen es, ihre Vollblüter-Stuten von nordrhein-westfälischen Hengsten bespringen und sie arabische Frühlings-Gefühle empfinden zu lassen. Wie so oft aber, wenn es um viel Geld geht, hat sich die Staatsanwaltschaft eingemischt: Mitarbeiter des Gestüts stehen im Verdacht, die Reisen von Angehörigen in den Nahen Osten durch Scheichs finanziert haben zu lassen und unter der Sonne Arabiens illegale Turniere organisiert zu haben. Das Gestüt liegt überraschend mitten in der Stadt, umgeben von Reihen- und Einfamilienhäusern, die auf fast schwäbische Art frisch gereinigt wirken.
Für den Pferdefreund ist das Landesgestüt eine Kultstätte. Besucher sind willkommen, sollten jedoch besser eine der offiziell angebotenen Veranstaltungen besuchen. Die Pferde nämlich stehen im Stall und sind von Februar bis August mit Geschlechtsverkehr beschäftigt. Auch während dieser Monate ist das Gestüt eine großzügige und sehenswerte Anlage, in der man manches sieht, nur kaum die Tiere.
Pferdestärke beweist auch der Sänger Michael »Der Wendler« Wendler, zu dessen Folge-Hits »Sie liebt den DJ«, »Sie liebt ihn immer noch« und »Dennoch liebst Du mich« gehören. Er investierte sein Vermögen 2008 in ein Gestüt in Dinslaken: beachtliche 100.000 Quadratmeter fürs Getier nebst Marmor für 400.000 Euro für sich und die Familie im Innern des Anwesens »der Superlative«, wie es auf der Homepage heißt. 19 Pferdeboxen gibt es auf der Wendler-Ranch. Gern traben, wie zuletzt Mitte Mai, Fans hierher, um mit ihrem Idol Party zu feiern. Ob sie dort noch oft schwofen, ist fraglich. Wendler zieht es in die USA, die Ranch in Dinslaken soll für über vier Millionen Euro den Besitzer wechseln. Mit Jürgen Drews hat bereits ein anderer Hitparaden-Reiter sein Interesse bekundet.
Doch nicht immer wird man satt davon, den Tieren auf der Weide zuzuschauen oder im Galopp über Felder zu preschen. Die Liebe geht auch durch den Magen. Pferde liefern hochwertiges Muskelfleisch mit wenig Fett. Fury endet auch heute noch in der Pfanne. Der original rheinische Sauerbraten, für den etwa das Restaurant Haus Töller in Köln bekannt ist, muss aus Pferdefleisch gemacht sein, alles andere ist eine zähe und flaue Kopie zur Beruhigung sensibler Mägen am Mittagstisch. Die seit 1927 bestehende Rossschlachterei Dirk Bäumer in Dortmund wiederum bietet ihren Kunden Corned Horse, Pferdesalami und Rossfleischwurst, wahlweise mit und ohne Knoblauch. Meldet sich der kleine Hunger, helfen etwas anders verwurstete Frikadellen.
Wie der Grundbestandteil dieses Nahrungsmittels ausschaut, wenn er weder für morgenländische Fürsten noch für Schlagerbarden zum Zweckerfüller wird, lässt sich in Dülmen betrachten. In dem 350 Hektar großen Naturschutzgebiet Merfelder Bruch lebt eine der letzten Wildpferde-Herden Europas. Ein prächtiges Naturschauspiel. Oder man reist weiter nach Münster: Zum Allwetterzoo gehört das Westfälische Pferdemuseum. Dort erfährt man, wie klug Pferde sind, wie viel Schlaf sie benötigen (30 Minuten pro Nacht, sie dösen lieber) und wo und wofür sie eingesetzt wurden, etwa im Krieg als Zugtiere und Kavalleriepferde und im Bergbau unter Tage.
Seit 1840 kamen Grubenpferde im Ruhrgebiet zum Einsatz. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren es zig Tausende. Die Industrialisierung wäre ohne ihre gewissermaßen unmenschliche Dienstleistung nicht möglich gewesen. Erst in den zwanziger Jahren wurden sie zunehmend durch Bahnen in den Stollen ersetzt, doch auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden noch Grubenpferde eingespannt. 1966 trat als letztes von ihnen Seppel ans Tageslicht. Er hatte auf der Zeche Lothringen gearbeitet und erhielt anschließend sein Gnadenbrot im westfälischen Lüdinghausen. Dass die Tiere litten, war den Bergleuten bewusst, die oft innige Beziehung zu ihnen hatten. Sie gaben ihnen Namen, fütterten sie und versuchten, ihnen das harte Leben so angenehm wie möglich zu machen.
Der Schriftsteller Paul Zech widmete den Grubenpferden ein Gedicht: »So schwarz weint keine Nacht am schwarzen Gitter, wie in dem schwarzen Schacht das blinde Pferd. Ihm ist, als ob die Wiese, die es bitter in jedem Heuhalm schmeckt, nie wiederkehrt.« Unter der Erde durch einen Stollen zu laufen, ist die artfremdeste Haltung für ein Tier, das seinem Instinkt nach weite Graslandschaften durchstreift. Eine dieser geschundenen Kreaturen bekam ein Denkmal: Alex, das letzte Grubenpferd der Zeche Hugo, fand sein Grab an der Gladbecker Straße in Gelsenkirchen Horst, direkt neben einer ehemaligen Zechenbahnlinie. Bis heute wird die kleine Anlage von ehemaligen Kumpeln gepflegt, liegen Blumen auf dem Stück Erde, das sich in einer Ecke Gelsenkirchens befindet, wie sie trostloser kaum sein kann. Die Ruhestätte von Alex erinnert an eine Zeit, als Horst kein Problemviertel war und die 1997 geschlossene Zeche Hugo 5000 Beschäftigte hatte.
Ob irgendwann den Pferden, die im Sauerland im Wald schuften, ein Mahnmal gesetzt wird, wer weiß. In den Forsten des Landes ersetzen sie die »Harvester«, große Holzernte-Maschinen, die tiefe Furchen in den Böden hinterlassen. Im Arnsberger Wald bietet das Lehr- und Versuchsforstamt sogar Kurse an, um zu lehren, die Pferde als vierbeinige Trecker zu nutzen.
Pferde, die Baumstämme schleppen, Pferde, die unter Tage verschüttet werden, Pferde zwischen den Fronten im Geschützdonner, Pferde in der Schlachterei – nicht unbedingt schmückende Motive für die Kunst. Schon vor fast 20.000 Jahren gehörten Pferde als Partner und verehrtes Geschöpf zu beliebten Darstellungen unserer Vorfahren, etwa in der Höhle von Lascaux. Wir reden hier jetzt nicht vom »Blauen Reiter«, nicht von Picassos sich bäumender Leidenskreatur auf dem Panorama seines »Guernica«-Gemäldes, nicht von Dalìs spinnenbeinigen Rössern. Pferde-Malerei ist zudem ein eigenes Genre mit langer Tradition. Michael Hotz bietet in seiner Galerie in Heinsberg nicht nur Gemälde und Grafiken von Pferden, sondern fertigt auch Porträts der Tiere an. Ein Freundschaftsdienst zur Erinnerung.