TEXT: ANDREAS WILINK
Da könnte man schon melancholisch werden. Insofern war die Eröffnung der Spielzeit und des neuen Theaters am Engelsgarten, nach der Abwicklung des Wuppertaler Schauspielhauses, mit dem Liederzyklus »Die schöne Müllerin« nicht verkehrt. Aber ob die Wahl der Auftakt-Aufführung von der Intendantin Susanne Abbrederis auch so gemeint gewesen ist? »Not macht erfinderisch – Wenn arme Städte Geld drucken« werben Plakate, die auf die Ausstellung im Museum für Frühindustrialisierung hinweisen. Es gehört zum Historischen Zentrum in Barmen mit dem Engelshaus; und nun gehört auch das kleine mit grau-roten Isolierplatten umkleidete Theater dazu, das aus eine Lagerhalle für das gegenüber liegende Museum entstand: angesichts der klammen Kommune mit 1,8 Milliarden Schulden dank Freundeskreis und Stiftungs-Engagement. Das Haus mit knapp 200 Plätzen wirkt wie in den Hinterhof abgeschoben und an den Rand gedrückt. Das Provisorische wird eher ausgestellt, als kaschiert. Not macht erfinderisch, aber auch erbarmenswert. Und erbärmlich, was die Selbstgenügsamkeit der Stadt bzw. deren Selbstgefälligkeit betrifft, mit der eine krumme Rechnung über das Verhältnis von Bevölkerungsschwund und Verkleinerung der Kapazität des Theaters aufgemacht wird. »Wuppertal kackt ab« heißt prägnant ein Jugend-Video-Projekt der örtlichen Initiative »Medienprojekt«.
Kein Raum und keine Zeit für romantische Gefühle im Theater am Engelsgarten, außer, dass in einer Bildprojektion ein Bächlein über felsigen Grund springt. Ein Dutzend aufklappbarer Podeste füllt die Bühne: eines für den Flügel, an dem der Pianist als Schubert-Imitat sitzt und spielt; in einem anderen stehen Schuhe aufgereiht; ein weiteres ist mit Sand gefüllt; auf einem steht eine Vitrine, in die auch mal ein Stofftier-Reh gestellt wird. Dass Marthaler und seine wachen Schlafwandler sich 2001 in Zürich »Die schöne Müllerin« anverwandelt haben, daran darf man gar nicht denken. Neun Schauspieler – das gesamte Wuppertaler Ensemble – singen sich mehr schlecht als recht durch die szenisch arrangierten 90 Minuten und knapp zwei Dutzend Lieder. Wenn sie nicht staunen oder starren, machen sie sich zu schaffen, legen Reclamhefte aus, zitieren aus Schuberts Erinnerungen, hantieren mit Wassereimern, werfen sich Decken über, frisieren Haare, streicheln das Kitz, karren Vergissmeinnicht herein. Kurzum, sie sind schrecklich aktionistisch und zeigen damit nur die Unbeholfenheit der Regie, die mit Platz- und Positionswechsel, Auf und Ab, Hin und Her vollauf beschäftigt ist. »Gute Ruh’, gute Ruh’! Thu’ die Augen zu!«, wünscht das Schlusslied. Es wird einem ganz anders bei diesem Totengesang – auf Wuppertal.