Süßer geht es kaum: Der liebe Blick, die niedliche Nase. Und wie sich die rosafarbenen Blütenblätter um das putzige Chihuahua-Köpfchen schmiegen. Spätestens im unteren Drittel des Bildes jedoch verliert sich die liebliche Anmutung. Fragwürdiges Gekröse macht sich breit – man denkt an Darmschlingen oder dergleichen. Die digitale Collage von FALK, alias @betrayal_junkie, führt mitten ins Thema der Ausstellung im NRW Forum. Unter dem Titel »#cute. Inseln der Glückseligkeit?« nimmt sie sich einer »Schlüsselkategorie der Gegenwart« an und versammelt dazu Alltagsgegenstände, Internet-Phänomene, außerdem fast 60 Arbeiten internationaler Künstler, die mit dem Niedlichkeitskult umgehen, ihn kommentieren, hinterfragen. Die Schau ist Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts zur Gegenwartsästhetik.
Dass Cuteness derzeit Konjunktur hat, wie die Macher behaupten, ist vielleicht noch nicht bei jedem angekommen. Aber sicher bei all jenen, die gelegentlich zuhören, wenn sich weibliche Teenager unterhalten. Die Schau kann ihre These noch dazu durch diverse Zahlen untermauern. Über 500 Millionen ist eine davon – denn mit so vielen Posts allein auf Instagram sei »cute« einer der beliebtesten Hashtags überhaupt. Babys werden gern so beschrieben, klar. Ebenso die Sympathieträger in Animationsfilmen oder Computer-Spielen. Soziale Medien, Werbung, Produktdesign… längst hat sich die neue Niedlichkeits-Ästhetik flächendeckend ausgebreitet. Mitunter verleiht man gar Robotern putzige Züge.
Die absolute Spitzenposition auf der Cuteness-Skala halten jedoch Tiere. Der Katalog bietet dazu noch ein bisschen Statistik: Um die 80 Prozent des als »cute« klassifizierten Content bei der Google-Bildersuche hat irgendwie mit Tieren zu tun. Und wer sich das eigene Gesicht versüßen will, versieht das Porträtfoto per App mit Rehaugen oder Hasennase. Im Netz kommen niedliche Hauskatzen groß heraus, mit einigem Abstand dahinter rangieren Hunde, aber auch Exoten wie Gürteltiere, Kolibris oder Wüstenfüchse wurden schon gesichtet.
Einhörner mit flimmernden Augen
Nicht zu vergessen mythologische Wesen – die können natürlich auch »cute« sein. Allen voran das Einhorn. Als Protagonist in einem Animationsfilm von Jonathan Monaghan bewegt sich ein rosafarben angehauchtes Exemplar mit flimmernden Augen und glänzendem Horn erschöpft, doch anmutig durch futuristisches Ambiente – Hallen, Cafés, Geschäfte. Bis es von einem Raumschiff aufgenommen wird, wo es neue Kraft schöpft und triumphierend davonfliegt.
Im NRW Forum wird es aber sicher eher jener pummelige und gar nicht müde Feldhamster sein, der sich im Spurt die Herzen aller Betrachter erobert. Der Wiener Naturfotograf Julian Rad hatte das gefleckte Kerlchen in rasendem Tempo festgehalten und mit seinem ungeheuer süßen Foto 2015 den ersten Platz im »Comedy Wildlife Photography Award« gemacht. Gern hätte man seinen Nager auf diesen Seiten gesehen. Doch die Kurator*innen mochte Rads Beitrag nicht als Pressefoto herausgeben. Vor allem wohl, weil der hastige Hamster kaum transportieren kann, was dem Team interessant zu sein scheint: Der Punkt, an dem das Cute kippt. Viele der künstlerischen Arbeiten nehmen ihn in den Fokus – jenen Moment, in dem das Niedliche zum Opfer wird, in dem das Süße ekelige, gruselige oder sonst wie befremdliche Züge bekommt.
Ziemlich eindeutig wäre das bei der Chihuahua-Collage mit Eingeweiden der Fall. Ganz bestimmt aber auch bei den schauerlichen »creatures«, die Anastasia Ward in Frankenstein-Manier aus unterschiedlichsten Plüschtierteilen zusammenstückt. Indem sie das Ganze dann auch noch mit Mikrochips und Sensoren verdrahtet, bringt die US-Künstlerin befremdliches Leben ins Spiel: Wards Wesen reagieren auf Bewegung, erkennen Sprache, variieren ihr Verhalten, je nach den äußeren Umständen.
Viel weniger Spielraum bleibt da dem bedauernswerten Pudel in den Animationen von NEONZOON. Adrett frisiert, das flauschige Fellkleid kunstvoll toupiert, steht er auf dem Präsentiertisch, während ein Preisrichter mit der einen Hand seinen Schwanzpuschel anhebt und mit der anderen die Schnauze fest im Griff hat. »SHIVER« heißt die Arbeit – vielleicht, weil Zittern alles ist, was dem Zuchttier auf dem Prüfstand an Bewegung zugestanden wird. Da ist man dann schon recht nah dran am Petfluencer – eines jener Internet-Phänomene, das die Kurator*innen gesammelt und ins nützliche Katalog-Glossar aufgenommen haben – neben Spezialitäten wie »Camp« und »Kawai«, »Cutifizierung« oder »Hypercuteness«.
Da erfährt man, das sich Petfluencer wie ihre menschlichen Kollegen, die sogenannten Influencer, in den Social Media herumtreiben – anders als sie aber natürlich nicht freiwillig. Herrchen oder Frauchen präsentieren die Lieblinge auf eigens eingerichteten Accounts. Wobei der Zuspruch, den sie damit erzielen wollen, vor allem mit der Cuteness ihrer Hunde, Katzen, Hamster, Kaninchen zusammenhängt. Dass denen meist ein nicht allzu langes Leben beschieden ist, liegt zum einen am Stress, den das Petfluencer-Dasein mit sich bringt. Zum anderen an Krankheiten, die das arme Tier erst richtig »cute« machen – Zwergenwuchs zum Beispiel. Ins Unerträgliche schaukelt sich die Tierqual in Brenda Liens vierminütigem Video hoch: Vom Streicheln und Knuddeln der niedlichen Katze ist es da nur ein kurzer Weg zum Ärgern und Verletzen. Mit grauenhaften Tierversuchen endet der Horror im Zeichentrickformat.
Ist Cuteness Ausdruck einer Sehnsucht nach emotionaler Geborgenheit im Zeitalter digitaler Entfremdung? Fungiert die Ästhetik als süße Betäubungspille gegen die bittere Realität oder als ironisch-raffiniertes Erkenntnismittel? Solche Fragen stellt sich die Schau, kann oder will aber keine eindeutigen Antworten geben. Vielleicht stimmt alles – ein bisschen.
9. OKTOBER BIS 10. JANUAR, NRW FORUM, DÜSSELDORF, WWW.NRW-FORUM.DE