TEXT GUIDO FISCHER
Wie eine Mischung aus Kobold und Tramp steht sie auf der Bühne – wild die Mähne, barfuß und im Smoking, der mit seinen geplatzten Nähten vom Flohmarkt stammen könnte. Auf dem Programm steht das ultraschwere Violinkonzert des Ungarn György Ligeti. Und was macht Patricia Kopatchinskaja? Als ob es das leichteste Stück der Welt sei, verwandelt sie die Solo-Kadenz in eine Miniatur-Musiktheaterszene, in der sie zum schrill flackernden Klangspektrum gleich auch noch singt und hektisch trippelt. Selbst Stardirigent Simon Rattle, der sich derweil in die Schlagzeuggruppe verzogen hat, kann nur staunen über das, was diese etwas andere Stargeigerin aufs Podium des Dortmunder Konzerthauses legt.
Im vergangenen Februar war Kopatchinskaja im Kontext ihrer Residence mit Sir Simon und den Berliner Philharmonikern dort zu Gast. Einmal mehr zog das aus Moldawien stammende Energiebündel alle Register, um aus einem regulär geordnet ablaufenden Konzert einen Abend zu gestalten, den man lange nicht vergisst. Das vollbringt sie im Grunde mit jedem ihrer Live-Auftritte, ob sie mit ihrem Lieblingspianisten Fazil Say unterwegs ist oder – wie zuletzt häufig – mit dem griechischen Super-Dirigenten Teodor Currentzis.
Die 40-jährige Künstlerin will dem Publikum nicht das immer Gleiche auf längst vertraute Weise vorsetzen, sondern es mit radikalen Sichtweisen oder neuen Stücken fordern und aus der Komfortzone locken. Man solle »die Ohren offen haben, hungrig sein«, sagt sie. Wem das nicht passt, darf auch anders: »uns mit Eiern bewerfen, mit Tomaten, uns beschimpfen«. Da kennt sie nichts. Wahrhaftig, auch wenn bislang noch keine Lebensmittel in Richtung Kopatchinskaja geflogen sind, erntet sie doch bisweilen lautstarken Widerspruch.
Als sie kürzlich in Begleitung von Currentzis mit dem Violinkonzert von Mendelssohn in Hamburg gastierte, quittierte der Saal mit Buhsalven ihren stachligen, schroff gegen den Strich gebürsteten Umgang mit dem romantischen Wonnestück. Ihr zugegeben oftmals überzogener Drang, die Musik mimisch und stets ohne Schuhwerk quasi choreografisch zu kommentieren, findet selbst unter getreuen Anhängern nicht durchweg Gefallen. Kopatchinskaja kann damit gut leben. Sie will niemandem gefallen, sondern hat den Ehrgeiz und Impuls, den Konzertbetrieb zu durchlüften.
Da passt es, dass sich die in Wien ausgebildete, mittlerweile in der Schweiz lebende Musikerin für ihr Vorhaben gern der zeitgenössischen Musik widmet. So hat sie alle wichtigen Violinkonzerte des 20. und 21. Jahrhunderts im Repertoire – von Kurt Weill und John Adams, Peter Eötvös und György Ligeti. Im Kammermusikalischen geht es weiter bis zu Stockhausen und Xenakis. Mit einem abendfüllenden Zyklus, der allein schon von der Besetzung her aus dem Rahmen fällt, wird Kopatchinskaja ihre Dortmunder Residence beenden. Für die 1987 bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik uraufgeführten »Kafka-Fragmente« des ungarischen Altmeisters György Kurtág hat sich die Violinistin mit der finnischen Sopranistin und Kurtág-Spezialistin Anu Komsi verbündet. Aus den Tagebüchern und anderen Werken Kafkas hat Kurtág 40 kurze expressive Fragmente, Einzelworte, Sätze genommen und verbunden zu einem Werk, das ihrer Meinung nach vom Umfang und Gewicht her absolut mit den bedeutenden Liederzyklen des 19. Jahrhundert mithalten könne. Es wird gewiss wieder ein Konzert werden, das mit seinen filigranen Klangaphorismen beim Besucher lange noch nachklingen wird.
Anu Komsi & Patricia Kopatchinskaja: 11. Juni, Konzerthaus Dortmund; www.konzerthaus-dortmund.de