Regale, Modelle und Plastikplanen, Werkbänke und Schreibtische, leere Bierkisten, Computer und allerhand Zimmerpflanzen. Dazwischen wimmelt es von geschäftigen Menschen zwischen 25 und 40. Das Gemeinschaftsatelier in der 100 Jahre alten Berliner Malzfabrik ist eine Mischung aus Lager, Werkstatt und Großraumbüro. Gekocht wird wohl auch ab und zu, so würzig wie es riecht. Ohne zu fragen hätte man Julius von Bismarck hier wohl kaum gefunden, trotz seines markanten Äußeren mit geschorenem Kopf und imposantem Vollbart. So kennt man ihn von etlichen Filmen und Fotos. Mit Bullenpeitsche, wie er Wellen und alpine Wipfel traktiert. Oder als Performer auf der Art Basel, wo er 2015 über Tage in einer rotierenden Betonschale saß und las und aß und schlief.
Von Bismarck weiß, wie man auffällt. Helfend hinzu kommen der prominente Nachname und die familiäre Verbindung zum ersten deutschen Reichskanzler. Bei all dem überrascht nun fast die zurückhaltende Art des Künstlers, der sich in einer Ecke des Atelier hinter seinem großen Monitor verschanzt hat. Ist das wirklich der Mann mit der Peitsche? Ist es der, der Blitze zaubert? Der den Flammen folgt und mit dem Auto ins Auge des Hurrikans vorstößt? Ein Künstlerunternehmer, der auf seinen diversen »Baustellen« im Berliner Studio ein Dutzend Helfer dirigiert?
Kirchen oder Kaufhäuser – alle abgerissen
Mit von Bismarck geht man auf Tour durch das kreative Gewusel und steht bald vor einem Modell mit kleinen blauen Männchen zwischen weißen Häuschen und spärlichem Gestrüpp. In etwa so soll einmal der Miniaturenpark aussehen, den er für den »Emscherkunstweg« entworfen hat. Vorbild sind jene Freiluft-Freizeitparks mit maßstäblichen Nachbauten berühmter Sehenswürdigkeiten. Statt Eiffelturm oder Petersdom stehen bei Bismarck aber Kirchen und alte Kaufhäuser herum, auch Freibäder und Fabriken. Um die 20 Gebäude, die es einmal gegeben hat im Ruhrgebiet. Doch kein einziges davon steht mehr, alles ist abgerissen.
Bisher sah man ihn eher in der Natur. Wie kommt von Bismarck plötzlich zu Architektur und Städtebau? »Baupolitik ist etwas, das mich schon immer interessiert und auch emotional betroffen hat«, sagt der Künstler. Vor allem hat er Berlin im Kopf und die drastische Veränderung der Stadt, zuerst nach dem Krieg und dann nach der Wende. Er wolle ein Bewusstsein schaffen für die Veränderungen des öffentlichen Raumes. Schließlich, so von Bismarck, seien all die Kirchen, die Kaufhäuser, die modernistischen Wohnhäuser einmal gebaut worden, weil man glaubte, das sei die Zukunft. »Jetzt denkt man anders – aber was denkt man?« Am Abriss würden ganz unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen ablesbar. Den Kirchen etwa liefen die Gläubigen weg. Produktionsstandorte würden geschlossen, wie der von Opel in Bochum.
Von Bismarck holt die verschwundenen Bauwerke zurück. Und will ihnen auf dem Gelände des Landschaftsparks Duisburg Nord eine Art Denkmal bauen. »Neustadt« nennt er das Projekt. Und es ist auf Wachstum angelegt. Noch manch denkwürdiges Gebäude, das dem Wandel weichen muss, könnte künftig in seinem architektonischem Gedächtnispark auferstehen.
Julius von Bismarcks Projekt für den »Emscherkunstweg« wird voraussichtlich im Herbst 2020 eröffnet. Dann soll auch eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn gezeigt werden.