Bauhaus-Architektur in NRW? Ja, die gibt es. Wenn auch mit ihr eher das »Neue Bauen« gemeint ist. Wir haben mit dem Denkmalpfleger Sven Kuhrau eine Auswahl zusammengestellt.
Krefeld: Haus Lange und Haus Esters
Die Reise am Bildschirm startet Kuhrau in Krefeld, wo die Verbindung zum Jubilar, dem Bauhaus, am nächsten liegt. Wurden doch die beiden berühmten Krefelder Fabrikanten-Villen Haus Lange und Haus Esters von Ludwig Mies van der Rohe geplant, bevor er 1930 als Direktor ans Bauhaus ging. Dem Klischee einer »weißen Moderne« entsprechen sie mit ihren dunklen Klinkermauern natürlich nicht, dennoch behaupten sich diese flachgedeckten Häuser als ungemein fortschrittliche Architekturen im konservativ bebauten Umfeld. Geschlossen wirken sie zur Straße hin, verbinden sich aber hinten hinaus mit großen, beinahe bodentiefen und zum Teil sogar versenkbaren Fenstern fast fließend mit dem Garten. Ein neues Verständnis von Privatheit bricht sich Bahn. Kuhrau weist auf einen Bediensteten-Eingang hin, der fast gleichwertig neben der Tür der Herrschaft liegt und damit eine für die Zeit erstaunliche Egalisierung belege. Was das Interieur angeht, musste Mies von der Rohe sich allerdings ein wenig bremsen – in Haus Lange wollte man sich auch nicht von der alten Gewohnheit eines Herren- und eines Damenzimmers abbringen lassen.
Wuppertal: Haus Grobel
Weniger bekannt als die Krefelder Paradestücke sind zwei Werke, die Hans Hermann Lüttgen Mitte der 20er Jahre in Wuppertal realisierte. Wie eine Mischung aus Wohngebäude und Kunstobjekt wirkt das weiße »Haus Grobel« mit seinen umlaufenden Simsen und den roten Rahmenmotiven, die nicht als reine Deko misszuverstehen sind. Viel mehr als das Bauhaus hat hier offensichtlich die »De Stijl«-Bewegung inspirierend gewirkt. Lüttgen habe in Wuppertal Formen erfunden, so Kuhrau, »die sich null und überhaupt nicht aus der Architekturgeschichte herleiten lassen«. Das ist Programm: Für das »Neue Bauen« haben die Konventionen ausgedient. Alles wird noch einmal neu hinterfragt. Was ist eine Wand? Wie entsteht Raum? Was überhaupt ist Architektur?
Köln: Der »Blaue Hof« in Buchforst und die »Weiße Stadt« in Kalkerfeld
Zwar findet sich eine Reihe schöner Beispiele für völlig neu durchdachte Einfamilienhäuser in NRW, doch war diese Aufgabe eigentlich nicht mehr up to date. »Mehr Lorbeeren konnte man sich als Architekt großer Siedlungen verdienen«, so Kuhrau. Da fallen einem schnell die Schöpfungen eines Wilhelm Riphahn in Köln ein. Ganz besonders die mit Caspar Maria Grod geplanten Wohnanlagen im Stadtteil Buchforst. Der noch in Blockrandbebauung angelegte »Blaue Hof« von 1926 und – deutlich progressiver – die wenige Jahre jüngere »Weiße Stadt«. Zwischen den beiden Projekten hatten die Baumeister in Karlsruhe an der Siedlung Dammerstock mitgewirkt, wo unter Walter Gropius die Zeilenbauweise zelebriert wurde. In Köln nun greifen Riphahn und der Kollege die Idee auf: Immer hübsch parallel ziehen sich die fünfgeschossigen Gebäuderiegel in Nord-Süd-Richtung. Der gemeinschaftliche Hof fällt weg. Stattdessen verlaufen zwischen den Riegeln Grünstreifen, die kaum mehr der Begegnung dienen. Ein Prinzip, das schon damals stark diskutiert wurde, so Kuhrau. »Da wird ein Stück Stadt entwickelt aus den Bedingungen der einzelnen Wohnung heraus «, das sei der Höhepunkt der Monofunktionalität. Jede der 600 Einheiten ist optimal zur Sonne hin ausgerichtet – am Morgen scheint sie ins Schlafzimmer, nachmittags in die Wohnräume. Luft und Licht zum Wohle der Wohnenden.
Duisburg: Siedlung Dickelsbach
Möglichst große Annehmlichkeiten schaffen und dabei vergleichsweise geringen architektonischen Aufwand treiben – dieser Idee folgt noch mehr die zwischen 1925 und 1927 in Duisburg gebaute Siedlung Dickelsbach. Gedacht waren ihre winzigen Häuschen mit Minigarten vor allem für kinderreiche Arbeiterfamilien, die im Grün hinter dem Haus Gemüse züchten und Hühner halten konnten. Die Wohnungen glichen einander wie ein Ei dem anderen, denn man dachte und plante – der Sparsamkeit halber – in Typen. Diese Art von Siedlungen seien kaum bekannt, meint Kuhrau, weil man ihnen jeden gestalterischen Anspruch absprach. Der Fachmann sieht das anders. Für ihn liegt der Vergleich mit Gropius’ Reihenhaus-Siedlung in Dessau Törten gar nicht so fern.
Leverkusen: »Realschule Am Stadtpark«
Ob Villa, Arbeiterbleibe – überall zog das »Neue Bauen« ein. Auch in die Schulen. Ein schönes Beispiel steht in Leverkusen. Mit dem Bauhaus hat das mächtige Backstein-Denkmal, wo heute die »Realschule Am Stadtpark« sitzt, allerdings wenig zu tun. Vielmehr folgte Wilhelm Fähler bei seinen Planungen ab 1927 wohl dem Vorbild von Willem Marinus Dudok, der mit seinen Architekturen bis heute das Stadtbild des niederländischen Hilversum prägt. Eine Verbeugung Richtung Dessau baut Fähler aber dann doch noch an: Die kleinen Balkone an der Schulfassade sehen dem Modell an Gropius’ Ateliergebäude verflixt ähnlich.
Aachen: Kirche Sankt Fronleichnam
Wichtiger als Schulen sind für das Rheinland sicher die Kirchen. Wie wirken sich die neuen Architekturideen auf den sakralen Bau aus? Erstaunliche Innovationen kennt man aus den 1950er Jahren. Die tollsten Kirchen seien damals im Rheinland gebaut worden, so Kuhrau. Doch hätten diese Leistungen durchaus eine Vorgeschichte in der Weimarer Republik, als Rudolf Schwarz hier aktiv war. Etwa in Aachen, wo er 1930 mit Sankt Fronleichnam ein besonders prominentes Beispiel des »Neuen Bauens« vollendete: Die Reduktion scheint auf die Spitze getrieben. Kein Detail zu viel, nur weiße Wände, die hoch in den Himmel wachsen. Im Inneren sei der Gläubige ganz auf sich selbst geworfen, bemerkt Kuhrau, und erinnert an die Raumwirkung gotischer Kathedralen.
Rheinberg: Pumpwerk
Kaum zu übersehen sind beim Streifzug durch die rheinische Architekturlandschaft der Weimarer Republik natürlich die avantgardistischen Industriebauten – wer kennt sie nicht, die Essener Zeche Zollverein oder Mies van der Rohes Fabrikgebäude der Verseidag in Krefeld? Doch birgt die Datenbank der Denkmalschützer auch echte Geheimtipps: Weiße Quader in der Wiese nahe dem Flussufer bei Rheinberg etwa. Es ist ein Pumpwerk, das muss man wissen. Denn Rudolf Kuckelmann versteckt die schnöde Funktion in einer Art Landhaus des »Neuen Bauens«.
Das Buch »Neues Bauen im Rheinland – ein Führer zur Architektur der Klassischen Moderne« wird vom LVR Amt für Denkmalpflege im Rheinland herausgegeben: https://denkmalpflege.lvr.de/de/publikationen_2/neuerscheinungen_3.html