kultur.west: Frau Otoo, in einem Videoporträt haben Sie 2017 gesagt, dass es noch nicht genug veröffentlichte Literatur aus der Perspektive Schwarzer Personen gebe, die über Alltägliches berichtet. Geschrieben von Schwarzen Menschen, die auch Mist bauen, die sich verlieben, die sich trennen. Hat sich da in den vergangenen Jahren etwas verändert?
OTOO: So wie ich das wahrnehme, gab es seitdem drei Schwarze deutschsprachige Autorinnen, nämlich Jackie Thomae, Olivia Wenzel und mich, die in größeren Verlagshäusern einen Roman herausgebracht und Anerkennung gefunden haben im Feuilleton. Ja, in dieser Hinsicht hat sich etwas getan. Bei der Rezeption gibt es aber immer noch so oft ein Korsett. Da wird dann gefragt: Was haben diese Autor*innen uns weißen Menschen zu sagen über Rassismus? Olivia Wenzel zum Beispiel hat einen autofiktionalen Text geschrieben über diverse Erfahrungen, über eine Ost-Biografie, über queere Themen und Rassismus, das war ein intersektionaler Blick auf ein Schwarzes Leben. Und das wurde fast immer reduziert auf die Frage: Was hat Olivia Wenzel über Nazis in Ostdeutschland gesagt? Das ist frustrierend. Also, ich wünsche mir da immer noch mehr Bewegung.
kultur.west: Im Mai wird Ihr Schwarzes Literaturfestival »Resonanzen« innerhalb der Ruhrfestspiele stattfinden. Ist das ein Schritt auf diesem Weg?
OTOO: Vor einem Jahr habe ich auf Twitter einen Thread geschrieben über meinen Wunschtraum. Was, wenn ich machen könnte, was ich möchte… Ich schrieb, ich würde ein Festival machen mit bestimmten Leuten in der Jury, mit bestimmten Autor*innen. Es ist interessant, wie viel davon gerade wahr geworden ist. Das ist sehr, sehr schön. Meine Idee für dieses Festival ist, einen Ort zu schaffen, wo Schwarze Autor*innen und Schwarze Lesende ausatmen können. Einen Ort für eine Literatur, die diverse Themen behandelt, Ideen nachgeht, sprachlich Sachen ausprobiert. Dass es die Möglichkeit gibt, dass Literatur von Schwarzen Menschen geschrieben und gelesen werden kann jenseits eines binären Blicks, der nur nach den negativen Erfahrungen fragt, die Schwarze Menschen machen. Schwarzes Leben bedeutet so viel mehr.
kultur.west: Das Festival trägt den Namen »Resonanzen«.
OTOO: Viele Schwarze Menschen in mehrheitlich weißen Gesellschaften machen häufig die Erfahrung, dass sie die einzigen sind, die einzige Schwarze Autorin oder das einzige Schwarze Kind in der Schulklasse. Katja Kinder, Mitbegründerin von Adefra – ein Schwarzer, queerfeministischer Verein, meint, wir brauchen Resonanzräume, Orte, wo wir vorkommen, wo wir mehrstimmig sein können. Das ist das, was mir in der deutschen Literatur gefehlt hat. Schwarze Literatur steht oft für sich allein oder wird in einen Topf geworfen mit allem, was nicht weiß ist. Sie wird als etwas Exotisches behandelt, was es so noch nie gegeben hat. Aber doch, es gab sie! Auch darüber möchte ich beim Festival erzählen, zum Beispiel über den Schwarzen deutschen Autor Dualla Misipo, der zu Zeiten der Weimarer Republik gelebt hat. Schwarze Menschen haben immer kreativ geschrieben und produziert. Nur die Rezeption fehlte. Bei den Ruhrfestspielen habe ich die Möglichkeit, ein Publikum zu erreichen, das sonst nicht so schnell Zugang zu deutschsprachiger Schwarzer Literatur hätte.
kultur.west: Wie gestalten Sie das Festival?
OTOO: Von der Struktur her wird es angelehnt sein an den Ingeborg-Bachmann-Preis. Sechs Autor*innen präsentieren ihre noch unveröffentlichten Texte zum Impulsthema »Erbe«. Aber es wird keinen Wettbewerb geben. Im Anschluss an die halbstündigen Lesungen gibt es Jurydiskussionen, einen Austausch über die Texte, aber auch über die Einflüsse afro-diasporischer Kontexte. Die Jury besteht aus vier Personen, die mir alle sehr lieb und wichtig und teuer sind: Aminata Cissé Schleicher, Dominique Haensell, Elisa Diallo und Ibou Coulibaly Diop. Nouria Asfaha, unter anderem Gründerin der Zeitschrift »afro look«, wird am Ende eine kommentierende Zusammenfassung geben. Die Eröffnungsrede hält Tsitsi Dangarembga, Schriftstellerin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. Die Autor*innen (die Namen werden erst beim Festival bekanntgegeben, Anm. der Red.) haben bislang noch gar nicht oder nur in kleinen Publikationen veröffentlicht. Ich wollte einen Raum schaffen für Menschen, die bisher noch nicht so viele bestimmt hatten, an eine große Bühne heranzutreten. Es geht darum, Nachwuchs zu fördern. Und vielleicht wird in der Folge dann auch über weitere Schwarze Autor*innen berichtet.
kultur.west: Sie benennen ein weiteres wichtiges Thema im Literaturbetrieb, nämlich den Mangel an etablierten deutschsprachigen Literaturkritiker*innen, die Traditionen, Einflüsse und Bezüge von Autor*innen der afrikanischen Diaspora erkennen.
OTOO: In unserer Jury sitzen allesamt studierte Sprach- oder Literaturwissenschaftler*innen, aber ihr Wissen wird selten abgefragt. Das ist tragisch. Immerhin gab es eine Entwicklung in den letzten fünf Jahren. Als Toni Morrison 2019 starb, hatte ich zwei Anfragen, einen Nachruf zu schreiben. Nach dem Tod von bell hooks dann im vergangenen Jahr, konnte ich mich nicht retten vor Anfragen. Es wird jetzt nach diesen Perspektiven geschaut. Das finde ich gut, aber auch traurig. Denn ich habe keine Expertise, ich bin keine Literaturwissenschaftlerin, ich bin Autorin. Bei Toni Morrison hat es noch gepasst, weil sie tatsächlich meine Lieblingsautorin ist. Aber grundsätzlich braucht es eine Person, die sich mit der jeweiligen Literatur auseinandergesetzt hat. Und es gibt sie massenweise, aber sie haben alle nicht die Bühne, die ich gerade aktuell genieße. Es ist mein Wunsch, dass viel mehr Leute Ein- und Zugang finden in die Welt der deutschsprachigen Literatur.
kultur.west: 2020 haben Sie den Bachmann-Preis mit Ihrer Rede »Dürfen Schwarze Blumen Malen?« eröffnet. Sie sagten: »Erst durch die Rezeption wird das, was ich schreibe, zu Literatur. Vorher ist es bestenfalls ein Monolog. Und ich möchte mit meinem Schreiben auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Dafür brauche ich Verbündete.« Haben Sie die jetzt bei den Ruhrfestspielen gefunden?
OTOO: Schwarze Communities in Deutschland haben auch ohne die Ruhrfestspiele Literaturfestivals gemacht, und sie werden das weiterhin tun. Das finde ich gut und wichtig. Die Chance, die diese Kooperation bietet, ist, zu einer Wandlung innerhalb einer Institution beizutragen, die wiederum Einfluss auf den deutschsprachigen Literaturbetrieb hat. Olaf Kröck – ich hoffe, ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich das sage – könnte nicht eigenständig ein Schwarzes Literaturfestival veranstalten. Das würde er nicht wollen und das käme auch nicht besonders gut an. Das muss in Zusammenarbeit geschehen. Es gibt dieses Foto von Olaf Kröck und mir bei der Pressekonferenz. Viele haben das gesehen und bemerkt, dass sich etwas bewegt.
Sharon Dodua Otoo
ist Schwarze Britin, 1972 in London geboren und lebt in Berlin. Sie ist Autorin und Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe »Witnessed« mit Büchern Schwarzer Autor*innen. 2016 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis mit ihrem Text »Herr Gröttrup setzt sich hin«. Ihr erster Roman, »Adas Raum«, wurde 2021 im S. Fischer Verlag veröffentlicht.
»Resonanzen – Schwarzes Literaturfestival«
19. bis 21. Mai
ruhrfestspiele.de