TEXT: INGO JUKNAT
Es ist 19 Uhr an einem Donnerstag, und der »Salon des Amateurs« sieht aus wie ein leeres Bühnenbild. Das Licht irritierend hell, der Boden gewischt, die Aschenbecher gespült. So sehen ihn nicht viele Gäste. Auch Martin Sonnensberger steht ein wenig unschlüssig auf der leeren Tanzfläche. War er schon mal um sieben hier? »Eher um sieben Uhr morgens.« Das glaubt man gern. Der Club in der Düsseldorfer Kunsthalle ist seine musikalische Heimat. Und die seiner Band Stabil Elite. Hier haben sie nächtelang Sounds aufgesaugt, die man in ihren eigenen Kompositionen wiederfindet. Viele davon stammen aus einer Zeit, als die Bandmitglieder noch gar nicht geboren waren. Man kann Stabil Elite kaum verstehen, wenn man den »Salon« nicht versteht.
Sonnensberger betritt den Club wie das Wohnzimmer von Freunden: Umarmung für die Barfrau, Händedruck für ihr männliches Pendant, ein freundliches Winken zur Eck-Couch, auf der Betreiber und Musiker Detlef Weinrich sitzt. Das Ritual wird sich noch zweimal wiederholen, als Lucas Croon und Nikolai Szymanski reinkommen, der Rest von Stabil Elite. Als sei die Ankunft der Band ein Zeichen, dimmt der Barmann das Licht. Dann geht die Musik an, sie klingt wie ein düsterer Puls. Langsam füllt sich der Laden.
Nikolai Szymanski sagt, er gehe am liebsten unter der Woche in den Salon, zu den Filmabenden, kleinen Konzerten und Kunstevents. Die Partys am Wochenende hat er ein bisschen zurückgefahren. Vielleicht muss er das auch. Im Moment hat er genug mit seiner Band zu tun. Zehn Tage nach Veröffentlichung ihrer Platte sind Stabil Elite gefragt wie nie. Mit dem Presseecho ist die Band hochzufrieden. Bisher gab es fast nur Lob. In der FAZ wurde »Douze Pouze« zur CD der Woche erklärt, »so eleganten Pop hat man aus Düsseldorf lange nicht gehört«, sekundierte die taz. Das einst von Andy Warhol gegründete Interview Magazine machte das
Video »Expo« zum Clip der Woche. An diesem Morgen waren Szymanski & Co. bei Eins Live im Studio, und die Pressetage gehen noch weiter. »Ich hätte nicht gedacht, dass unsere Platte so breit besprochen wird und so großen Anklang findet«, sagt Lucas Croon ohne Koketterie.
Der Erfolg ist wirklich erstaunlich. Nicht, weil »Douze Pouze« ein schlechtes Album wäre, sondern weil es schwer auf einen Nenner zu bringen ist. Da sind düstere, technoide Stücke wie »Expo« oder »Rave Maria«. Wenig später tanzen Stabil Elite plötzlich auf einem 80er-Jahre-Funk-Teppich (»Wir kommen aus«). Dann glaubt man wiederum, mit Jean-Michel Jarre oder Giorgio Moroder in den Ambient-Himmel zu schauen (»Dreiklang«). Und schließlich, bei »Hydravion«, sind da noch Kraftwerk, die Düsseldorfer Überväter. »Douze Pouze« atmet Musikgeschichte, ohne retro zu sein.
Tatsächlich bündeln Stabil Elite die popmusikalischen Traditionen ihrer Heimatstadt – zumindest den avantgardistischen Teil von Kraftwerk über Der Plan bis zu aktuellen Bands wie Kreidler. Und sie sind nicht allein. 30 Jahre nach den Experimenten im Ratinger Hof brodelt es wieder im Düsseldorfer Musiklabor. Stabil Elite sind nur das sichtbarste Zeichen. An guten Tagen findet man im Salon die ganze Szene: den Pianisten Hauschka, Detlef Weinrich, alias Tolouse Low Trax, Stefan Schneider (To Rococo Rot), Stefan Schwander alias Antonelli, und einige mehr. Was sie eint, ist die Nähe zur Kunst. Salon-Gründer Detlef Weinrich hat an der Düsseldorfer Akademie studiert, sein Club liegt nicht zufällig in der Kunsthalle. Hauschka gibt Konzerte in der nahe gelegenen Langen Foundation, Stabil Elite traten im NRW-Forum und in der Julia Stoschek Collection auf, da gab es noch gar kein Album.
Als jüngste Spielwiese dient der »Single-Club« (s. K.WEST 07/11). Das Kunsthappening findet einmal im Monat in den Räumen einer albanischen Bar am Worringer Platz statt – falls der Betreiber die Kunststudenten nicht mitten in der Nacht vor die Tür setzt, was ab und zu vorkommt. Auch Stabil Elite sind hier schon aufgetreten. Es sind Orte wie Salon und Single-Club, an denen die »nüchterne Dienstleistungsmetropole Düsseldorf« (taz) ein zweites Gesicht und einen neuen Sound entwickelt. Schade nur, dass sich diese Wandlung in den jüngeren Düsseldorf-Reportagen kaum widerspiegelt. Dort werden Kunst und Musik weiterhin so behandelt, als seien sie Anomalien in einer ansonsten immer noch geschmacklosen Verwaltungs- und Schickimicki-Metropole.
»Nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt wirkt Düsseldorf bereits trist«, schrieb der Musikexpress symptomatisch, um sich dann über die Halbweltkulisse des Single-Clubs zu mokieren (die in Berlin prompt als verrückte Brechung des Ortes durchgegangen wäre). Noch weniger Lust, Klischees zu hinterfragen, hatte die Musikzeitschrift De:Bug. Erkenntnis-Highlights einer Dreiseiten-»Reportage« aus Düsseldorf: ICE lahm, Kö winzig, Sonne zu grell. Aber die Musik irgendwie OK.
Die Band stört das Ganze kaum. »Wir sehen uns nicht als Düsseldorf-Botschafter«, sagt Nikolai Szymanski. Das empfindet die Stadt womöglich anders. Sie hat Stabil Elite jüngst den Kulturförderpreis in der Sparte Musik verliehen.
Stabil Elite: »Douze Pouze«, Italic/Rough Trade/Kompakt, bereits erschienen. Auf Tour im Mai. Info unter www.stabilelite.net