Sie hatten große Pläne. Eine Performance zwischen »Straßen-Tanz-Ritual« und »Weltraumoper«: Mit der titelgebenden Frage »Ist das ein Mensch?« wollte das Bochumer kainkollektiv den Folgen der Kolonialgeschichte im Heute nachgehen. Tänzer*innen und Sänger*innen aus Madagaskar, Kamerun und Kongo, Kanada und Deutschland sollten dazu auf einer Bühne zusammenkommen. Nach zwei Jahren Vorbereitung kam Corona und änderte alles. Kurz vor der Premiere platze das Projekt im März 2020. Was seither geschehen ist, böte reichlich Stoff für eine abenteuerliche Doku.
Denn Hals über Kopf mussten die Künstler*innen damals die Heimreise antreten. Auf dem Weg campierte eine kameruner Sängerin eine Woche lang auf dem Flughafen in Nairobi. Der Kollege aus dem Kongo indes strandete im Kamerun und saß dort für sieben Monate fest. Trotzdem lief die Arbeit weiter. Mit ungeheurer Power trieb man das Projekt voran und bringt jetzt unter dem Eindruck der Pandemie eine etwas andere Geschichte auf die Bühne und ins Netz. Sogar ein kleiner Film ist entstanden, der die Corona-Reisen der Künstler*innen dokumentiert.
Das kainkollektiv bietet nur eines unter vielen Beispielen. Das »Theater der Welt« und »Asphalt«-Festival in Düsseldorf, das Kölner »CircusDanceFestival« und die »Impulse« der freien Theaterszene, das junge Festival »hellwach« des Helios Theaters in Hamm und das Wuppertaler Performancefestival im Zuge des großen Beuys-Jubiläums 2021… – sie alle machen in diesen Wochen vor, wie die Kultur durch die Krise manövriert.
Dazu braucht es Ideen, Mut zum Risiko, viel Energie und natürlich auch finanzielle Unterstützung. »Was es bedeutet, alle paar Tage auf neue Bedingungen reagieren zu müssen, das kann sich kaum jemand wirklich vorstellen«, sagt Andrea Firmenich. Sie ist Generalsekretärin der Kunststiftung NRW, die in großem Umfang Kreative in NRW fördert und ihre Hilfe im Corona-Jahr noch einmal kräftig aufgestockt hat. Auf dass die Kultur Corona übersteht. Doch weiß Firmenich: »Wir können nicht mehr als das Pflaster auf einer Wunde sein.«
Immerhin konnte die eilige Erstversorgung dem kainkollektiv dabei helfen, neue Wege zu suchen, um den großen Plan weiter zu verfolgen. Man habe über das Corona-Jahr hinweg im Experiment mit digitalen, hybriden und filmischen Formaten eine gewisse Routine entwickelt, sagt Fabian Lettow, der zum Kern des Kollektivs gehört. »Mit dem Projekt Ist das ein Mensch? stellen wir uns jetzt der bisher größten Herausforderung.« Zwei Drittel des Ensembles könne nicht herkommen, um die Produktion auf die Bühne zu bringen. Doch wurden in Bochum dicke Pakete gepackt und auf den Weg nach Kamerun, Kongo, Helsinki, Paris gebracht. Damit die Künstler*innen da und dort digitale Varianten entwickeln und in Original-Kostümen performen können. Die Aufführungen finden nun am 2. Juni im Rahmen des »Ark«-Festivals im Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr statt, wo ein Tänzer mit Band live auftritt – das Gros der Akteure aber per vorproduziertem Video zugeschaltet wird.
Ob das alles auch vor Publikum stattfinden kann oder allein im Stream um die Welt gehen muss? Man hält sich möglichst vieles offen, um schnell das Ruder, wenn nötig, herumreißen zu können. Dazu passt das »Ark«-Festival mit seinem Link zu Noahs Rettungsboot. Fabian Lettow: »Wir sind mit einem halb analogen, halb digitalen Schiff in den Stürmen der Gegenwart unterwegs.«