Der Rhein führt Hochwasser. Am Himmel ein Flugzeug. Die Stadt ist grau. Ein Wagen mit dem Kfz-Kennzeichen SU fährt durch die Straßen: Sie: »Was ist mit dem?« Er: »Ne.« Sie: »Und der? Der da! Wieso nicht?« Er: »Der hat mein Gesicht gesehen.« Sie: »Du hast einfach nur Schiss. Was ist mit ihm? Der da! Was ist mit dem?«, schreit und schimpft sie. Dies ist der Anfangsdialog eines Paars, Becky (Ricarda Seifried) und Tommi (Thomas Schubert), die wir vorher bei Schießübungen sahen. Sie haben Sex, kurz, heftig, lieblos. Unerfüllt. Wenn schon nicht töten, dann wenigstens Liebe machen. Aber auch das funktioniert nicht. Die Wohnung ist ungemütlich kahl, der Kühlschrank leer, der Einkauf im Supermarkt, fast ein Konsum-Fick, ebenso unbefriedigend. Sie ist frustriert, im Wechsel depressiv und aggressiv, stachelt ihn auf und befriedigt sich selbst mit dem Duschkopf in der Badewanne.
Hexenkessel. Etwas steht kurz vor der Explosion: »Irgendwas muss passieren. Es ist mir scheißegal, was. Dass es richtig knallt.« Eine Lady Macbeth, obwohl aus gutem Hause, die nun im asozialen Sperrbezirk feststeckt. Ihre Sprache ist vulgär. Als wäre »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« von keiner kultivierten Schutzschicht abgemildert.
Dann ist da noch ein Dritter, der rechtsradikale Maik (Jean-Luc Bubert). Sexmaschine für sie. Lustobjekt auch für Tommi, der im Park einen Schüler anspricht, seinen homosexuellen Trieb noch unterdrückt (»Ich trau mir selber nicht mehr«) und ersatzweise zur Gitarre greift. Die Männer schießen einen muslimischen Ladenbesitzer und dessen Söhne zusammen. Ein Blutbad an der Gemüsetheke. Das infernalische Trio geilt sich an seiner Tat und weiteren Killeraktionen mit panischem Johlen auf und säuft bis zur Besinnungslosigkeit: »Auf Deutschland«. Als sie fürchten müssen, durch Tommis Gequatsche nicht mehr sicher zu sein, fackeln sie ihre Wohnung ab und gehen auf Tour. Tauchen unter in einer Gartenlaube, feiern den Kehraus mit Faschingsperücken, wollen als Terroristen groß rauskommen, aber bleiben in den Medien ungenannt. Küssen und schlagen sich. Bis die Polizei sie einfängt wie tollwütige Tiere.
Das Täterprofil, das Jan Bonnys »Wintermärchen« entwirft, zwingt uns einen unabwendbaren Blick auf. Sich diesen zwei Stunden auszusetzen, ist eine Tortur, die man aushält, weil man spürt: Dem hier müssen wir uns stellen. Die Kamera klebt an den unkontrollierten, hassenden, fickenden, mordenden (Un-)Menschen. Dieses »Geheime Deutschland« ist anders, als es sich damals der Stefan-George-Kreis und der Hitler-Attentäter von Stauffenberg zusammengeträumt haben. Ist ordinär, dreckig, hässlich, brutal und todversessen. Ist der Rückfall in die Barbarei – und ist nicht Vergangenheit.
»Wintermärchen«, Regie: Jan Bonny, D 2018, 124 Min.