Wenn wir an Colette denken, sehen wir vor uns das ikonische Bild der Alten, umloht von flusig weißem Haar-Gewuschel, mit schmalen, dunkel gefärbten Lippen und den Augen einer Sphinx, vielleicht eine Katze im Arm, oft im Herrenanzug. So residierte sie in Paris, hielt Hof, empfing die Welt – eine Sonnenkönigin der Literatur, irgendwann weniger gelesen als bestaunt und verehrt. Ein Denkmal, ein monstre sacré der französischen Kultur, wie Coco Chanel, wie Jean Cocteau oder wie die Wahl-Pariserinnen Gertrude Stein und Marlene Dietrich. Sie erhielt als erste Frau überhaupt in der Geschichte Frankreichs 1954 ein offizielles Staatsbegräbnis.
Sidonie-Gabrielle Claudine Colette hat Bestseller wie „Chérie“ und „Mitsou“ verfasst und das zu einer Zeit, als dergleichen für eine Frau nicht comme il faut war. Geboren 1873 im Burgundischen, heiratet das 16-jährige Landei den sehr viel älteren, geistvollen Henry Gauthier-Villars (Dominic West), einen Verleger, der den Literaturbetrieb in Gang hält und die Buchproduktion als Gewerbe zum Gelddrucken betreibt. Sie entdeckt bald ihre Lust und ihr Talent zu schreiben, aus Instinkt und Notwendigkeit, denn ihr Gatte ist ein zwar würdiger, aber doch unverbesserlicher Hallodri und expressiver Lebemann, der Unsummen vertut.
Claudine im Mittelpunkt
Unter seinem Pseudonym „Willy“ veröffentlicht das Paar erste Romane: mehrfach mit der Ich-sagenden Claudine im Mittelpunkt. Diese fiktiv-autobiografische Claudine wird zur Chiffre und zur erfolgreichen Werbemarke, zum Lifestyle-Produkt – würde man heute sagen. Die Autorin, Journalistin, Revue- und Varietékünstlerin Colette, die Tumult entfacht, als sie eine Frau auf der Bühne des Moulin Rouge küsst, erkämpft sich eine eigenständige Existenz, auch erotisch quer zum Normierten. Sie outet sich als die, die sie ist: eine Frau, die ihr Geschlecht als Waffe einsetzt – als intellektuelles Instrument und als körperliches Werkzeug. Sie ergreift das Wort, nimmt es sich heraus, wird zur Herrin der Rede.
Das üppig angelegte Sittengemälde „Colette“ von Wash Westmoreland („Sill Alice“) benimmt sich etwas zu laut und keck, treibt es zu bunt und duftet klischeehaft pariserisch (und ist übrigens schlimm synchronisiert). Die Porträt-Studie der Konstruktion einer Identität indes beobachtet präzise, mit subtiler Schärfe und hellem Verstand.
Keira Knightley, die Colette spielt, wendet damit gleichsam ihre Rolle der Anna Karenina von 2012 um: von der Frau als Opfer der männlich dominierten Gesellschaft zu einer sich die Freiheit nehmenden, sich selbst ihre Verfassung gebenden Frau, die damit auch aktiv die sie umgebende Welt prägt. „Die Hand, die die Feder hält, schreibt Geschichte.“
Start: 3. Januar 2019