Wenn Catherine Deneuve uns auf der Leinwand begegnet, sehen wir mehr als sie in ihrem gegenwärtigen Film. Dahinter tut sich wie in einem Spiegelkabinett eine sich vervielfältigende Zahl von Figuren, Rollen, Phantom-, Ideal- und Fantasiebildern, von Ikonen des Weiblichen auf. Deneuve bei Jacques Demy, Polanski, Buñuel, Truffaut, Ozon: die Gläserne, Kalte, Unergründliche, Begehrenswerte, Mondäne, Majestätische. Eine Frau aus Marmor, der die Zeit nichts anzuhaben scheint. Sie geht durch sie hindurch: unbeschädigt, vielleicht ungerührt. All dies bedenkend, sehen wir sie nun als Claire Darling – dem Tod anheimgegeben. Die Preisgabe an die Sterblichkeit lässt sie Fleisch werden.
Die Uhr schlägt, eine kostbare Stutzuhr, getragen von einem Elefanten, der mit Kopf und Rüssel wackelt. Und in einem Kinderzimmer aufgestellt wird – in einer der vielen Rückblenden, Erinnerungs-Fragmenten und Gespinsten des Gestern dieses wohl kaum bedeutenden, aber doch sehr bedeutungsvollen Films von Julie Bertuccelli. Es ist die junge Claire, die ihrer kleinen Tochter Marie Gut’ Nacht sagt. Marie (Chiara Mastroianni – die Tochter Deneuves) ist nun aber längst erwachsen und kehrt nach ihrer Flucht als junges Mädchen zurück in ihr Mutterhaus.
Claire geht durch ihren letzten Tag, den eine gewaltige Explosion beschließen wird, die alle materiellen Güter ihres Lebens zerstört und als Himmelfahrt und Apotheose inszeniert ist. Claire, vermutlich dement und nicht mehr ganz bei sich (oder eben doch nun gerade), glaubt, eine Botschaft Gottes erhalten zu haben. Der Priester zweifelt, vollzieht dennoch einen Exorzismus, der die bösen Geister der Schuld austreiben soll: Schuld am Tod ihres Ehemanns, den sie hasst, weil er verantwortlich ist für den tödlichen Unfall des Sohnes Martin durch eine Sprengung im familieneigenen Steinbruch, Schuld an der Entfremdung gegenüber der ihr gebliebenen Tochter Marie.
»Der Flohmarkt von Madame Claire«. Um wie viel eleganter klingt, um wie vieles sinnvoller heißt das Original: »La dernière folie«. Die Verrücktheit Claires, die sich aus schmerzenden Splittern ihrer Vergangenheit zusammensetzt, führt sie aber erst in die Klarheit. Claire heißt nicht zufällig so. Sie räumt auf. Macht Inventur ihres Lebens. Leert ihr Schloss auf dem Dorf, wo gerade der Zirkus gastiert und die Kirmes lärmt, und verkauft auf dem Basar vor ihrer Haustür – alles: Kleider, Möbel, Antiquitäten, Gemälde, Nippes, wertvolles mechanisches Spielzeug. Darunter Puppen, die durch ihr inneres Getriebe lebendig werden. So wie Catherine Deneuve, die Königin des französischen Films, als Idol auch eine Puppe war, vergöttert von denen, die ihr künstliches Wesen ersonnen, fotografiert, es ‚aufgezogen’, es bewundert haben. Diese Schicksals-Erfahrung einer Schauspielerin spielt über das Gesicht der Deneuve als Claire: gefasst in Würde und gelassener Ruhe, in Trauer, Erkenntnis und Einverständnis. Es ist die Summe eines Leinwand-Lebens – am Ende des Films wird sie atomisiert.
»Der Flohmarkt von Madame Claire«, Regie: Julie Bertuccelli, F 2018, 95 Min., Start: 2. Mai 2019