EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Liebe Leserinnen, liebe Leser. Zunächst einmal darf ich Sie bitten, sich von ihren Plätzen zu erheben und einige Sekunden lang eines Monats zu gedenken, der uns für immer verlassen hat.
Vielen Dank.
Liebe Leserinnen, liebe Leser. Liebe Trauergäste. 2014 hat einen Monat verloren, der sich beim Aufbau dieses Jahres unschätzbare Verdienste erworben hat. Juni, »unser Juni«, wie seine Freunde ihn nennen durften, war für uns alle ein Monat, der uns in Erinnerung bleiben wird. Eine besondere kleine Ära war er, möchte ich sagen. Dafür sind wir ihm dankbar. Bereitwillig hat Juni die kalendarischen Pflichten von seinem Vorgänger übernommen, die Verantwortung angetreten, die sein Amt an der Schnittstelle zweier Quartale und zugleich zweier Semestrale von ihm verlangte. Doch Juni hatte mehr vor, er wollte gestalten.
Manche Monate sind sanft, manche rauer. Wie gern würden Dezember und Januar nicht auch einmal warme Winde säuseln und zarte Knospen aufbrechen lassen! Überkommene Traditionen aber wollen es anders. Wäre es nicht an der Zeit, wage ich an dieser Stelle auszurufen, auch diese Benachteiligung endlich zu überwinden? Geeignete Fördermaßnahmen – hier wende ich mich bewusst an Sie, verehrte Frau Ministerpräsidentin –, könnten helfen, dieses bereits Jahrhunderte währende Unrecht wiedergutzumachen. Keinen Monat zurücklassen! Geben wir den Winterwochen eine faire Chance auf Wärme! Vielen Dank.
De mortuis nihil nisi bene, heißt es. Dennoch ist mir bewusst, dass einige von Ihnen, verehrte Trauergäste, mit unserem von uns gegangenen Monat nicht vollständig im Reinen sind. Einige nehmen ihm so Einiges übel. Etwa, dass er das Fest des interkulturellen War-nicht-so-gemeint in Köln, »Birlikte«, rüde durch ein Gewitter abwürgte. Aber, frage ich, war Juni damit schon ein Ausländerfeind? Auch das Pfingst-Open-Air in Essen hat er auf gleiche Art abgebrochen, und an der Ruhr ging es doch nur um Musik.
Inklusion, verehrte Freunde, lautet das Stichwort unserer Tage: Jeder soll reinkommen, niemand mehr draußen bleiben. Innen alles, außen nichts. Wir wollen die Gelegenheit dieses traurigen Anlasses nutzen, um uns von unseren Plätzen zu erheben, alle miteinander die Arme auszubreiten und sie zu üben, die Inklusion.
Danke. Vielen Dank.
Verehrte Anwesende, wir in NRW wollen ein offenes und tolerantes Land sein, wir haben begriffen, dass jede Meinung und jede Weltanschauung gleich gut und gleich viel wert ist, ob Kreationist oder Sozialdemokrat. Wir mussten lernen, dass, jemanden Mann oder Frau zu nennen, eine Diskriminierung darstellen kann. Schon ich oder du sagen, kann eine Übergriffigkeit bedeuten. Sollte jemand, dessen Hautfarbe schwarz ist, maximalpigmentiert genannt werden? Vielleicht. Vor allem aber lernten wir, dass es Behinderungen nicht gibt, sondern nur Andersbefähigungen. Die Behinderung der andern, liebe Freunde, ist die Behinderung im eigenen Kopf – genauso wollen wir nun verstehen, dass es auch keine guten und bösen Monate gibt. Dass ein Gewittersturm, und sei er noch so zerstörerisch, einfach nur andersgutes Wetter ist. Zerstören heißt stören, und sind Störungen nicht sinnvoll und gut? Liebe Gemeinde, lasset uns lernen, Blitze und Starkregen, Orkanwind, stürzende Bäume und fallende Ziegel auszuhalten, dankbar anzunehmen und kreativ zu nutzen. Heterogenität zulassen, das muss unser Credo sein. Heterogenität, die Homogenität bedeutet. Denn es geht uns, liebe Freunde, es geht uns ums Wir. Um allesumfassendes Wir. Alles Wir!
Liebe Leserinnen, liebe Leser, verehrte Trauergäste – Juni hat uns verlassen. Doch auch in diesem unserem Schmerz hilft uns das Zauberwort Inklusion. Warum Unterschiede machen? Ebnen wir sie ein. Hören wir auf, zwischen Juni, Mai, Juli, September zu differenzieren. Ein Monat soll wie der andere sein – das Jahr ein einziges multimonatliches Kontinuum! Ich möchte Sie bitten, noch einmal bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und mit mir zu rufen: Es lebe die Unterschiedslosigkeit! Es lebe das Einerlei!
Vielen Dank.