EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Guter Rat ist teuer, vor allem in finanzschwacher Zeit. Gold aber ist er wert, wenn er Antworten weiß auf lebensnotwendige Fragen wie »Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?«, »Wo bekomme ich die nächste Steuerdaten-CD her?« oder »Welche ökonomische Bedeutung besitzen urbane Waldökosysteme sowie waldbezogene Sozialfunktionen urbaner Wälder in Nordrhein-Westfalen?«
Die ersten beiden Fragen hat sich gewiss jeder schon häufig gestellt. Die letzte hingegen mag sich dem genügsamen Bürger unseres Landes in ihrer Bedeutung nicht gleich erschließen. Dabei ist sie alles andere als marginal. In urban verdichteten Räumen nämlich, wo sich viele hundert Menschen einen Quadratmeter teilen, führt Interessendivergenz nicht selten vom Wortaustausch zu gegenseitigem Umschubsen. Zerkratztes Mobiliar oder die Zerstörung ganzer Straßenzüge ist die Folge.
Wie anders hingegen, wenn ein Wald in der Nähe ist! Frisches Grün beruhigt die Nerven, falls nicht, können bereitliegende dicke Äste die Disharmonie verkürzen; am Schluss mildert das Laubbett den Fall dessen, der nachgibt.
Dies alles und mehr sind die ökonomisch positiven Sozialfunktionen urbaner Waldökosysteme – aber wer von uns Normalsterblichen, Hand aufs Herz, wusste das schon? Auch kein Ministerium mit all seinem Sachverstand. Und so war, um dieses Wissen zu erwerben, vom Minister für (Sozial-?)Klimaschutz, Umwelt und Natur, Johannes Remmel, ein externes Gutachten einzuholen, das die 10.000 Euro, die es gekostet hat, mehr als wert ist.
Auch die Expertise zur »Untersuchung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen durch selbst von Behinderung betroffene Menschen« (Arbeitsministerium, 49.000 Euro) ist aufgrund ihrer vorbildlich zirkelhaften Fragestellung nicht zu beanstanden. Ebenso die wiederum von Minister Remmel beauftragte »Wissenschaftliche Auswertung einer Fragebogenaktion zu Schwanzbeißen bei Schweinen« – können doch hier Erkenntnisse aus dem Tierschutz unmittelbar auf bislang ungelöste Mensch-Mensch-Problematiken übertragen werden.
Alle diese insgesamt 174 Gutachten sind im vergangenen Jahr von der Landesregierung vergeben worden und kosteten den Steuerzahler gut 12 Millionen Euro. Titel und Sujets mussten hier weder erfunden noch verfremdet werden und sind sämtlich nachzulesen in der Drucksache 16/809 des Landtags vom 4. Sept. 2012. »Potenziale und Probleme des Subsidiaritätsfrühwarnsystems«, »Planung, Durchführung und Auswertung eines Planspiels Ereigniskommunikation«, »Psychoakustische Bewertung von Verkehrslärm«, »Daten zum Management und zur naturschutzfachlichen Bewertung von 88 planungsrelevanten Vogelarten« oder, besonders schön, das Gutachten mit der Fragestellung: »Welcher Normgeber ist befugt, eine Regelung zu treffen, die die Friedhofsträger ermächtigt, eine Friedhofssatzung zu erlassen, nach der nur Grabmale aufgestellt werden dürfen, die nachweislich in der gesamten Wertschöpfungskette ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Konvention Nr. 182 der ILO hergestellt worden sind?« (Ministerium für Gesundheit, 8.000 Euro) beweisen die autosatirische Qualität unserer Regierung.
Die Liste verdanken wir einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Ralf Witzel, FDP, der natürlich nur neidisch ist, dass seine Partei selbst nicht mehr Gutachtenaufträge an dankbare Institute vergeben kann – die Regierung Rüttgers ließ sich in ihrer Zeit die Vergrößerung ministerialer Weisheit 32 Millionen Euro kosten.
Beständig dazuzulernen ist die Selbstverpflichtung jedes demokratischen Politikers. Und so sind, wie K.WEST exklusiv erfahren hat, folgende Forschungsaufträge bereits vergeben: »Untersuchung der Auswirkung nächtlicher Dunkelheit auf die Lichtverhältnisse im Straßenverkehr« (Ministerium für Verkehr, 32.000 Euro); »Chancen der Verringerung rheumatoider Arthritis des Handgelenks im Alter durch weitgehenden Wegfall des ß in Ausbildungszeiten« (Gesundheits- mit Schulministerium, 71.000 Euro) sowie »Erforschung der Akzeptanzerhöhung des Schauspiels bei Jugendlichen durch Verwendung mehrfarbiger Theatervorhänge« (Kulturministerium, 13.500 Euro).