EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
An dieser Stelle wird gern von mir die Meinung vertreten, am besten es passiert nichts. Denn da fast immer das Falsche passiert, behält jeder besser seine Finger bei sich. Schließlich gibt es ja bereits so einiges. Manches funktioniert sogar. Und dringend ist sowieso so gut wie nie was.
Zugegeben, ein bisschen leide ich schon darunter, dass niemand auf mich hört. Meistens wird weiter herumgemacht. Thesen werden aufgestellt. Busse fahren. Überall Baulärm. Die Überraschung war allerdings Frau Kraft. Eine Regierung zusammenzustellen, die nie wird irgendetwas hervorbringen können, war eine Befreiung. Wir sind angetreten, um abzutreten! Das als Regierungsprogramm zu hören, tat gut. Das war im Juli.
Im August ist dann auch wirklich nichts passiert. Auch Frau Krafts Regierungserklärung jetzt im September fiel so utopisch aus (»Auf den Autobahnen in NRW soll künftig kein Stau mehr sein«), dass die Gefahr der Verwirklichung nicht besteht. Heilsame Ruhe im Land. Doch dann sah man im selben Monat auf einmal Menschen umherirren, Beamte. Es stellte sich heraus, Frau Kraft hatte doch nicht die Finger bei sich behalten. Sie hatte was angepackt und alles umgeschmissen.
Da steht sie, hoch oben im Stadttor in Düsseldorf, in eifrigen Schweiß gebadet. Fährt mit hochgekrempelten Ärmeln in die Kästen, in die die Ministerien einsortiert sind, und reißt alles heraus. Integration weg von Familie, ruft sie. Hin zu Soziales. Wo ist Energie? Hierher, passt doch zu Verkehr. Für Verkehr – muss gebaut werden. In Bauten – wohnt man. Das ganze ist – bin ich nicht gelernte Wirtschaftsfachfrau? – Ökonomie! Voilà: Da haben wir das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr. Jetzt die integrationslose Familie, die braucht was Neues. Passen täte Jugend, täten Kinder, Pflanzen, Haustiere. Haustiere laufen rum. Das tun auch die im Sport. Den also mit dazu.
Das muss Anfang August passiert sein. Am Ende von Krafts Kraftakt blieb, was bei so was immer übrig bleibt: die Kultur. Die ist nicht normgerecht verpackt, die läuft auch schon mal aus, die passt zu nichts. Weil sie aber nun mal irgendwo hin muss, hat Hannelore Kraft sie ins Fach mit dem naturgemäß größten internen Durcheinander geschoben, ins Familieressort.
Das Mischmaschministerium ist aber heute nicht das Thema. Das Thema sind die im Düsseldorfer Regierungsviertel orientierungslos herumlaufenden Beamten, Folgefälle des Sortierungsanfalls. Überall, wenn man mittags in den gefühlten 476 Coffee-to-Go- und Latte-macchiato-Läden zwischen Graf-Adolf-Platz und Fürstenallee sitzt und still in der Tasse rührt, sieht man sie flackernden Blicks über die Straße irren: Männer mit tief unter Bäuchen hängenden Hosen, Frauen mit Sprayfrisur. Und sie alle schieben einen Bürostuhl vor sich her, auf dem ein Gummibaum schwankt. Eine Prozession trauriger menschlicher Blattschneiderameisen. Es sind die 20.000 Mitarbeiter der Ministerien, die laut einem Erlass der Ministerpräsidentin ALLE UMZIEHEN müssen. Weil eng beieinandersitzen soll, was neu zusammengepackt wurde, sagt Frau Kraft. Und so werden die Gesundheitsleute aus dem Arbeitsministerium am Fürstenwall ins Gebäude am Horionplatz vertrieben, dahin, wo früher die Integrationsleute saßen. Die müssen dafür an den Fürstenwall. Dort saß auch immer die Kulturabteilung. Die packt nun ihre Sachen und migriert ins Wirtschaftsministerium, wo auch die Familie und die Kinder unterkommen. Weshalb die Wirtschaftsministerialen raus müssen und ins Verkehrs- und Bauministerium ziehen, das seinerseits irgendwo anders hin wandert, niemand weiß wohin.
So schwindet der Zauber, der Frau Krafts Anfang innewohnte. Und wenn sie in ferner Zukunft, im Oktober oder November, wieder abtritt, wird sie leider doch etwas angestellt haben: einen Umzug. Schade drum.