EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Im Herbst schneidet der gute Gärtner seine Ranken zurück, damit, was sommers ins Hallotrige ausgetrieben und hohlzweigig umhergewuchert war, was sich an Wirtsgewächse geschlungen und marklos an selbststehende Stämme gebiedert hatte, nicht bis hin zum eigenen Untergang Saft und Kraft verschwende. Sondern damit der mit entschlossenem Zwick und entschiedenem Zwack von Scheintrieben und Eitelreisern befreite Wurzelstock in der wachstumsfreien Jahreszeit selbstbesonnen Kraft für ein neues glaubliches Frühjahr sammle. Am Sonntag Mauritius, dem Schutzheiligen der Messerschmiede, d.i. der 22. September, war Rückschnitttag. Seither sah man im Oktoberdunst so manches Gewächs auf wenige Stängel zurückgestummelt und kahl wie eine früh verglatzte Stirn in der Landschaft stehen, während die ewig immergrünen Riesen rank und resch ihre laubfetten Äste in noch höhere Wahlhöhen schwenkten. Auf ein Drittel ihrer vorherigen Wuchsgröße heruntergehäckselt, wirkt die ohnehin seit Jahren stammlose Ficus Dedicata Pecuniae, im Volksmund Apothekerfeige oder auch Windfähnchen genannt, wie verdorrtes Unkraut, das man aus dem Kloster-, manche sagen auch Parlamentsgärtchen, hinaus- und auf den Kompost warf.
Wer bei den Pflanzen wohnt, weiß zu warten; der Ehrsüchtige aber zieht ungeduldig am Halm, pfropft, klebt an oder transplantiert. Die Linde blüht vor dem Tore bis in den August und danach bescheiden nicht mehr im selbigen Jahr. Der drängelige Lindner aber will jedem Ding seine Zeit nicht lassen, gönnt seinem gilb-blau vertrockneten Kräutchen nicht den Abstieg ins Erdreich, so wie er seinem eigenen Kopf nicht die Reifung zum Senex gestattet: Der nordrhein-westfälische Vorgärtner der hier noch mit einigen Restexemplaren vertretenen Fic. Ded. Pec. hackt, gräbt, spritzt und düngt, um seine Spezies allem Rückschnitt zum Trotz noch im Winter zum Blühen zu bringen. »Der Kurs der FDP ist weder links noch rechts, sondern vorn und in der Mitte«, beschließt er. Mit dieser Ortsbestimmung meint Christian Lindner seine eigene Stirn, wo er sich jüngst, das Anzeichen erster Lebensreife bekämpfend, hat Fertighaar legen lassen. Mag teuer gewesen sein und insofern in seinen Kreisen eine gute Entscheidung. Aber auch eine kluge? Wäre nicht ein Schnauzbartimplantat erfolgversprechender gewesen, um dann ein Gesicht wie Möllemann ma-chen zu können oder überhaupt mal ein erwachsenes?
Sicher kommt es bei dem und dem nicht darauf auf, was im, sondern auf dem Kopf ist. Aber man muss doch auch Abschied nehmen können. Von wurzellos gewordenen Haaren gleichwie von kopf-, herz- und beinlos gewordenen Machtbünden. Nehmt Bochum als Beispiel, möchte man rufen: sechs Dutzend Zechen, Zadek und Peymann, drei Stahlwerke, Grönemeyer, Nokia, Opel, jetzt auch Outokumpu: Die verstehen loszulassen. Schließlich, nur wer sein letztes Hemd hergibt, dem fallen die Sterntaler in den Schoß (die vom neuen Kommunal-Soli, haha!). Ausschließlich ein völlig verarmtes Ruhrgebiet also wird den Strukturwandel schaffen. Nur eine voll verglatzte FDP den Wiederaufstieg zur Partei.