EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Selig sind die Armen im Geiste, sagt man so, oft spöttisch. Eigentlich aber wiegt dieses Wort steinschwer, ist es doch aus allerhöchstem Munde gefallen. Um es überzeugend verkünden und im Buch der Bücher platzieren zu können, bedurfte es paradoxerweise einer ordentlichen Portion geistiger Wohlhabenheit, was die uneingeschränkte Geltung dieses allsehenden Diktums ein wenig in Frage stellt: Zumindest Gott ist als Schlauer im Himmel. Doch apodiktische Unhaltbarkeiten äußert der Autor der Bibel ja auch an anderer Stelle, etwa wenn es um das mehrfache Darbieten von Wangen im Konfliktfall geht. Warum übrigens geistig arme Menschen ganz besonders selig sein oder zumindest später einmal werden sollen, nämlich im Himmelreich, ist schwer zu verstehen. Vielleicht leitet sich die Annahme aus der offenbar auch in höheren Sphären verbreiteten Beobachtung her, dass geistig Behinderte, etwa Menschen und Engel mit Trisomie-21-Syndrom, immerzu so fröhlich sind.
Die Rechnung umzudrehen reizt, ist allerdings logisch nicht ganz statthaft, zumal das Leben oder der Heilsplan noch andere Wege zur Seligkeit kennt, als den mittels geistiger Minderausstattung bzw. spiritueller Besitzstandsreduktion. Eine dieser anderen Streckenführungen kam im November in Paderborn zum Ziel, da wurde im dortigen Dom Frau Bonzel für selig erklärt. Oder, wie es im Fachjargon der dieses Prädikat vergebenden Institution heißt, seliggesprochen. Dass diese Auszeichnung 108 Jahre nach dem Tod der Frau verliehen wurde, deutet darauf hin, dass die eingangs zitierte Formel sich als Tatsachenbehauptung allein auf die Zukunft bezieht. Oder kann es sein, jemand ist selig oder fühlt sich zumindest so, weil er oder sie fest davon ausgeht, später einmal seliggesprochen zu werden? Möglich; doch Frau Bonzel unternahm durchaus sehr viel für ihre posthume Stimmungs- und Statusverbesserung, sie gründete einen Orden und wurde deshalb schon zu Lebzeiten Mutter Oberin genannt, eine mutige, aber geglückte Hypothek auf spätere Erhöhung.
Mein Psychiater, den ich aufsuche, seit ich verpflichtet bin, monatlich diese Glosse zu schreiben, sagt, warum sollte es geistig gesund sein, angesichts der Weltzustände nach Glückseligkeit zu streben? Das sieht Götz George, möglicherweise besucht er denselben Seelenarzt, ich werde das herausfinden, ganz ähnlich, er sieht die Welt den Bach runtergehen. Vor allem Duisburg. Das war früher stets genau angemessen kaputt für seinen Horst Schimanski, sagt er. Jetzt zu kaputt. Weswegen der WDR das angemessen kaputte Duisburg als Kulisse nachbauen musste. Am selben Sonntag im November, als ab 15 Uhr Mutter Maria Theresia im Hohen Dom zu Paderborn seliggesprochen wurde, konnte man ab 20:15 Uhr im Fernsehen anschauen, wie Duisburg armseliggesprochen wurde. Einen direkten Vergleich zu ziehen aber ist unselig, denn jedes katholische Bistum ist und bleibt reicher als die neue Heimatstadt Hiobs – auch wenn den Oberhirten derzeit wieder besonders viele Schäfchen von der Kirchensteuerschlachtbank springen, doppelt so viele sind es an Rhein, Ruhr, Pader und Aasee als im Vorjahr. Der Grund für den Soul drain, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollackvon der Universität Münster, sind die gute soziale Absicherung und das hohe Bildungsniveau der Menschen. Selig wird man also heutzutage ganz allein, ohne seelsorgerische Hilfe. Jedenfalls sofern man materiell wie geistig einigermaßen wohlhabend ist. Die andern geben von ihren Habseligkeiten auch noch den Zehnten an die priesterlichen Milliardäre. Irgendwas scheint doch dran zu sein am Diktum von den Armen im Geiste …