EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Das Wissen um die Bedeutung des Wortes Glosse geht immer mal wieder verloren. Abgesehen davon, dass sich darin wie in der Mundhöhle eine Zunge dreht, versteht man unter Glosse etwas, das sich am Rand herumdrückt. Dort also, wo sich alle nicht tätigen Menschen aufhalten: Pfarrer, Kritiker, Millionärsgattinnen, Sportberichterstatter, Flaneure, Erben und Kulturminister. Von dort versuchen sie, das Geschehen im Innern der Peripherie zu verstehen bzw., im Fall letzterer, zu beeinflussen. Zum Beispiel durch Geldwegnahme im Verlauf von Haushaltsberatungen. Da dieser Akt für die Betroffenen immer etwas Beraubendes hat, wird er bevorzugt an jenen verübt, die schwach und daher dem Rand ohnehin näher sind, z. B. Kinder oder die Kunst. Hierbei verhalten sich Parteien, die einmal selbst am Rand standen wie die sozialdemokratische oder die grüne, nicht anders als die die Mitte behauptenden. 16 von 196 Millionen sollten dem Kulturetat 2013 abgeschält werden und damit prozentual das allermeiste. Die Kulturministerin aber ließ hören, sie sei zufrieden damit, zumal es, Hütchen wechsel’ dich, eigentlich nur zwölf Millionen seien. Schon im Dezember hatte sie ihre Sprecherin Bescheid geben lassen, »wir können um die Kultur keinen Zaun ziehen«. Das ist eine beliebte Auffassung, seit die Zäune um alles und jedes niedergerissen werden, nur um sie dann um das Eine aufzurichten: ums Geld. Immerhin ist Ute Schäfer damit vom Rand etwas mehr in die Mitte gerückt, allerdings nicht die, in der die Künstler tätig sind. Eher die, wo die Stammtische stehen.
Nun ist es eben so, dass in den Künsten und der Kultur wenig viel bewirkt: Was sind schon ein paar Töne, ein paar Pinselstriche – materiell gesehen? Umgekehrt aber auch: Nimmt man einem Theaterchen 5.000 Euro weg – die Spaziergänge von 400 nicht rausschmeißbaren Ex-WestLB-Bankern sind dem Land 34 Millionen Euro jährlich wert –, stößt man es damit über den Rand ins Aus. Bildlich gesprochen: Wer sparfreudig sein Gesicht um die Nase kürzt, erzielt mit wenig Masse große Wirkung. So wollte die Regierung Kraft die ohnehin periphere Position Erinnerungskultur um 190.000 Euro erleichtern, was auch das Ende des Jüdischen Museums Dorsten bedeutet hätte. Man muss fast sagen: Leider kam es nicht dazu, es hätte das Licht der Kenntlichkeit auf die Regierung geworfen. Aber ein paar Randfiguren haben dieses Geld und weitere knapp drei Millionen von draußen wieder hineingeschoben in den Kulturhaushaltsplan. Nämlich die in den Fraktionen des Landtags völlig an die Kante gedrängten paar Kulturpolitiker, eines Landtags, der seinerseits von dieser Regierung mehr als von anderen zuvor haushaltspolitisch zum Saumphänomen, also zur Glosse degradiert wird.
Aber von Zunge, Glotta, war oben die Rede, ein Synonym für Sprache, etwas, mit dem man prima lautmalen kann. Glossolalie, Zungenreden ist daher eine bei Regierungsmitgliedern beliebte Sportart, weil sich mit ihrer Hilfe die Aussage zum Ausgesagten in ein Verhältnis bringen lässt wie das der Mitte zur Peripherie, des Kerns zur Fassade. Ihr Slogan »Wir lassen kein Kind zurück« und die jetzt von ihr vorgeschlagene Kürzung des Kinder-Kulturrucksacks um 500.000 Euro sind so ein Fall, bei dem Hannelore Kraft die Zungenrede perfekt demonstrierte. Ein Fall von mehreren. Inzwischen ist im Kulturhaushalt 2013 alles weg, was noch Rand, also Puffer sein könnte für kommende noch schwerere Haushaltszeiten. Da bleibt einem nur noch die bittere Glosse.