EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Wenn man Kinder will, muss man etwas tun, was für sehr hochgeschlossene Menschen eine Zumutung darstellt. Auch Menschen mit leicht zu erschütterndem Selbstwertgefühl, vor allem aber Menschen, bei denen beides zusammenkommt, scheuen jenen Schritt über die Distanzschwelle hinweg zum Du. Zumal dieses Du notwendigerweise dem anderen Geschlecht zugehört, das per se einen komischen Körper hat. Was, so ängstigt sich der den kinderbezweckenden Akt Planende, was, wenn das andere Geschlecht an mir Stellen entdeckt! Oder ich an ihm! Und vielleicht riecht auch was!
Ein Dilemma, unter dem auch Frauen leiden. Ja, es ist eine Frau, die sich hier die vielleicht pein-lichen Einzelheiten ihrer Brautnacht ausmalt. Eine Karrierefrau mit fest gespraytem Blondhaar gar, die sich als Zweitbeste eines Schönheitswettbewerbs berechtigt fühlte, gleich drei Bewerber auf ihre Eignung als Kindsvater hin zu prüfen: Mit hochmütigem Blick geht sie herum, fasst den Kerlen ans Kinn und blickt ihnen auf die Hose. Diese Frau – nennen wir sie ihrer unablässig zur Schau gestellten Überlegenheit wegen Madame Power – Madame Hanni Power also verabredet mit dem ersten Kandidaten ein Date. Zum Termin bringt sie Löhrle, ihre privilegierte Partnerin mit, wie sie sie nennt. Eigentlich wären die beiden Frauen sich selbst genug, aber leider, leider fehlt ihnen zum Kinderkriegen was. Zögernd tritt von links der erste Freier hinzu, frech kneift Hanni ihm in die Backe. Die Tür zum Schlafzimmer schließt sich hinter ihnen, einige Stunden lang hört man es drinnen rascheln, reden, scharren. Dann fliegt die Tür auf, Frau Power stürzt heraus, rotgefleckten Gesichts, hinter ihr steht linkisch im Türrahmen eine Gestalt mit herabgelassener Hose. »Iih«, schreit die Power und weist empört mit dem Finger: »Ein Mann!«
»Das konnte ich nicht wissen«, fügt sie hinzu und steht schon strahlend beim nächsten, einem distinguierten Herrn in Schwarz. Nebeneinander tritt das Paar in die Tür zum Brautgemach, der Kavalier hat zwei Gläser und eine Flasche Club-Sekt im Arm, die Braut verspricht keck, sie werde aus dieser großen Kohabitation schon herausmelken, was wie brauche. Dann verschwindet sie hüftschwenkend Richtung Bett. Wieder Reden und Geräusche, wieder ein abruptes Ende mit Ekelausbruch: »Der wollte mich unten liegend!« Das Publikum wundert sich. Folgt der letzte Kandidat. Der besitzt die Statur eines Ampelmännchens und wird gar nicht erst angeschaltet. Lachend stolpert die Power schon nach zehn Minuten aus dem Zimmer und zeigt mit Daumen und Zeigefinger einen Abstand von Streichholzbriefchenformat.
Doch außer Madame Power lacht keiner mehr. Das Publikum murrt ungehalten. Denn das Publikum will eine echte Hochzeitsnacht. Weil Frau Powers Leib fruchtlos zu bleiben droht, wird auch die privilegierte Partnerin ungehalten, denn so bekommt auch sie nicht das gemeinsame Baby. »Die Hanni hat Angst vor dem Akt«, zischt die Löhrle. »Die weiß überhaupt nicht, wie das geht«, lässt der schwarze Kavalier die Zurückhaltung fahren und kolportiert Einzelheiten, die Frau Super-Power als ängstliche Jungfer zeigen, knieverkrampft auf der Bettkante hockend.
Schon scheint der Juni kinderlos zu Ende zu gehen, schon verwandelt sich der Unmut des Publikums in Spott, da entschließt sich Madame Power zur Verzweiflungstat. Sie greift sich das Löhrle, stößt sie durch die Schlafzimmertür, wirft sie aufs Bett und sich selbst darüber. Man hört sie noch rufen: »Und die Kinder, die bringt der Storch«. Dann schließt sich die Tür.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann probieren sie’s heute noch, die Hanni und die Löhrle. Allein.