EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Das letzte halbe Jahrhundert, man kann gegen es sagen, was man will, zum Beispiel dass es die Langspielplatte kaputtgemacht hat, ist doch auch das halbe Jahrhundert der Emanzipation gewesen. Eine verfolgte Minderheit und bedrohte Art nach der anderen durfte hineinklettern ins Boot: der italienische Gastarbeiter und seine Küche, der Löwenzahn und anderes Unkraut, der Turnschuh. Eine überwältigende Sehnsucht nach Gleichstellung verbietet es heute, Elstern zu schießen und Neger zu sagen, und das ist gut so. Einbeinige Balletttänzerinnen und Geiger mit Pferdehaarallergie gelten nicht länger als berufsuntauglich, nur als andersbegabt. Schwule Tankwarte sind ebenso Mainstream wie Nacktradler und beinrasierte Priester, es gibt nur noch normal. Das ist die großartige Geschichte der Mehrheitswerdung der Minderheiten. Im letzten Monat wurde sie vollendet.
Im Februar nämlich hat sich die größte Minderheit, die es gibt, so groß, dass sie die Mehrheit ist, endgültig emanzipiert: die Frauen. Die erste Etappe auf dem Langen Marsch zum Gender-Sieg war im Jahr 2000 erreicht, da klagte sich eine Tanja per Europäischem Gerichtshof in die Bundeswehr ein. Schon 1978 hatte Sgt. Schwarzer den bedingungslosen weiblichen Zugang zu Maschinengewehr und Panzerhaubitze gefordert, zu Herumbrüllen und Robben im Schlamm. Denn zur vollen Gleichstellung der Frau gehört nicht nur der Zugang zu jeder Form der Macht, sondern auch der Blödheit. Es gibt keinen biologischen Unterschied, da hat Alice Schwarzer recht. Weibliche Menschen sind genauso doof.
Danach schritt die Emanzipation unaufhaltsam fort. Monatlich wuchs die Zahl der Talkshows moderierenden, Konzerne leitenden und durch Herzinfarkt sterbenden Frauen. Gestresste Managerinnen meiern mittlerweile genauso gekonnt ihre daheim sitzenden Typen ab wie früher der Herr Direktor sein Eheweibchen.
Vor wenigen Wochen fand der letzte noch fehlende Mosaikstein seinen Platz im nun vollendeten Panoramabild der Emanzipation. Da nämlich knickte das Nordrhein-Westfalen regierende Feminat der Königin der Gleichberechtigung den Phallus weg, ihren Turm. In diesem »FrauenMediaTurm« genannten Bergfried in Köln hat Alice Schwarzer seit 1994 ihr Archiv der Frauenbewegung untergebracht, vom damals herrschenden Patriarchat des Landes NRW mit jährlich 210.000 Euro alimentiert. Nun haben die Nachfolgerinnen der gestürzten männlichen Herrscher, die Ministerinnen Steffens (Frauen), Schulze (Forschung) und Schäfer (Kultur), Alice Schwarzer den Unterhalt bis auf ein paar Cents gestrichen. Und die Ministerinnen-Präsidentin Kraft hat zustimmend gegrinst.
Darüber ist Alice Schwarzer unvorstellbar wütend. Dabei sollte sie unvorstellbar glücklich sein über diese prächtige Sauerei. »Frauen beweisen ohne Unterlass, dass sie – im guten wie im bösen – durchaus so militant handeln können wie Männer« war 1978, als Alice Schwarzer dies in Emma schrieb, noch ein frommer Wunsch. Dann kam Angela Merkel und mit ihr nahm das Gender mainstreaming einen einzigartigen Aufschwung. Ihr ist zu verdanken, dass der hässliche Deutsche mittlerweile weibliche Züge trägt. Schon zuvor hatte Merkel gezeigt, dass eine Frau, wenn sie nur will, einen Mann – nein, einen Mann nach dem andern (Roland Koch, Franz Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg, Horst Köhler, Christian Wulff) kaltlächelnd einen Kopf kürzer machen kann.
Fehlte nur noch eines, ein Letztes, um es dem Patriarchat endgültig gleich zu tun: Frau vernichtet Frau. Planmäßig und erbarmungslos. Nun ist auch das geschafft. Schwarzer, nehmen Sie es sportlich. Und: willkommen im Club!