EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
9. Februar, kurz vor 20 Uhr in der Staatskanzlei im Stadttor in Düsseldorf. Im Großen Besprechungsraum sitzt Hannelore Kraft allein an einer der Schmalseiten des Konferenztisches, vor sich einen Pizzakarton, aus dem sie sich ein vorgeschnittenes Stück in den Mund schiebt. Die Tür geht auf, Sylvia Löhrmann tritt ein. Hannelore Kraft weist mit der fettfreien Hand unbestimmt auf die vielen leeren Stühle.
KRAFT: Löhrle! Wieder mit’m Rad rübber gerutscht? Setz dich.
Sylvia Löhrmann schweigt. Sie geht ganz ans andere Ende des Konferenztisches und nimmt dort Platz. Hannelore Kraft beißt in das nächste Stück.
LÖHRMANN: Du weißt doch genau, du sollst mich nicht Löhrle nennen!
KRAFT (grinsend): Mimmf sporplich! – Hier, iss auch ma’!
Sie klappt den Pizzakarton zu und stößt ihn wie einen Eisstock längs über den Konferenztisch. Auf dem Deckel sind die italienischen Farben rot und grün zu sehen. In der Mitte des Tisches gerät der Pappkasten in eine Linksdrehung, rutscht über die Kante und fällt zu Boden. Unter dem Tisch kommt eine Hand hervor, reißt den Karton zu sich und verschwindet wieder. Hannelore Kraft zieht die Rheinische Post vom Zeitungsstapel und wischt sie sich mit der Titelseite die Finger sauber.
KRAFT: Wir müssen dringend was unternehmen!
LÖHRMANN: Schon wieder?
KRAFT: Siehst doch, wohin das führt!
LÖHRMANN: Seh’ ich!
Sylvia Löhrmann blickt an die Stelle, wohin die Pizza gefallen ist.
LÖHRMANN: Die Fehler machst du!
KRAFT: Bei den Voraussetzungen! Ich hab mir das Regieren anders vorgestellt.
Hannelore Kraft klaubt eines der kleinen Brötchen aus der Tüte und wirft es neben den Tisch ungefähr an die Stelle, an die der Pizzakarton gefallen ist. Wieder kommt unter dem Tisch ein Arm hervor, kann das Panino aber nicht erreichen. Von unter dem Tisch stöhnt es wütend und rumpelt. Sylvia Löhrmann schüttelt den Kopf.
KRAFT: Der nimmt das schon. Kriegt auch nix andres! (Lacht schmirgelnd.) Trotzdem geht mir das alles hier auf den Sack!
LÖHRMANN: Auf die Eier! (Beide prusten.)
KRAFT: Aber im Ernst doch. Womit soll ich getz den Salat hier …!
Die Tür geht auf. Herein kommt Norbert Walter-Borjans, der Finanzminister.
LÖHRMANN: ’n Abend Walter! Walter der Finder!
WALTER-BORJANS: Bitte sagen Sie nicht Walter zu mir, Frau Kollegin!
KRAFT: Norbert, Stück Pizza? – Ach nee, is‘ ja …
Norbert Walter-Borjans überhört die Frage und strahlt aufgeregt.
WALTER-BORJANS: Frau …
KRAFT: Wat is, Nobbert?
WALTER-BORJANS: Frau Ministerpräsident, Hannelore …
LÖHRMANN: Schon wieder was entdeckt? Lass raten: Noch ma’ 1,3 Milliarden?
Norbert Walter-Borjans verzieht das Gesicht, wendet sich dann ostentativ Hannelore Kraft zu.
WALTER-BORJANS: Hannelore, du glaubst es nicht! Genau hier unter uns … Da wo früher die Kultur war …
Hannelore Kraft runzelt verständnislos die Stirn.
WALTER-BORJANS: … da war’s. Da hab ich’s gefunden!
KRAFT: Nee. Echt jetzt?
WALTER-BORJANS: Ja! Ganzen Schrank voll.
Sylvia Löhrmann ist aufgestanden und zu den beiden getreten.
LÖHRMANN: Und das ist jetzt nicht wieder so ’ne Verarsche wie bei dem Gericht da?
WALTER-BORJANS: Kuckt doch selber! Alles da. Da unten: Teller, Besteck – alles.
Hannelore Kraft schlägt mit beiden Händen auf die Tischplatte und springt auf.
KRAFT: Na dann. Wenn das so ist. Mach ich hier weiter. – Norbert, hol drei Gedecke hoch. – Nee, warte. Hol vier!
Hannelore Kraft beugt sich unter den Tisch und ruft:
KRAFT: Zimmermann! Komm’ Se raus. Gehn Se mal Pizza für alle holen. Sylvia, mit Salami? Ich nehm’ Vier Jahreszeiten. Zimmermann, kuck nich’ so, arme rote Socke. Ich geb’ ein’ aus!
Hannelore Kraft lässt sich wieder auf den Stuhl fallen. Sylvia Löhrmann setzt sich zu ihr. Wolfgang Zimmermann, Fraktionsvorsitzender der der Partei »Die Linke«, wuchtet sich unter kläglichem Ächzen unter dem Tisch hervor und steht auf. Hinter Walter-Borjans eilt er hinaus.
KRAFT: Brauch’ wir getz noch Neuwahlen?
LÖHRMANN: Jetzt nicht mehr.
KRAFT: So macht dat Spass, dat Regieren!
LÖHRMANN: Genau.