GLOSSE: ULRICH DEUTER
Am 5. August erreichte die Marssonde »Curiosity« nach neunmonatigem Flug ihren Bestimmungsort. Begeistert wiegt sich die NASA im Glauben, ihr Expeditionsgerät sei wie geplant im Gale-Krater auf dem Roten Planeten gelandet. Die Bewohner von Otzenrath aber wissen, dass der Rover auf dem Grund des Braunkohletagebaus Garzweiler niederging, wo er seitdem, sechsrädrig ruckelnd, nach dem früheren Leben sucht.
Die Erforschung des gegenwärtigen Lebens auf dem Exoplaneten mit dem Kürzel NRW wäre ergiebiger. Dürfte doch dauerhafte komplexe Selbstorganisation nach den Gesetzen zytologischer Biohydraulik dort überhaupt nicht existieren. Einem Beobachter wie einer von fernher geschickten und nun langsam über dem Gebiet schwebenden Sonde böte sich ein bizarres Bild. Überall Aberwitz.
Flögen wir mit einem solchen Gerät an einem beliebigen Tag die Quadranten dieses Areals ab (wir brauchen die NASA nicht, es gibt Spähdrohnen, kaum mehr als handtellergroße, ferngesteuerte Quadrokopter für 255 Euro bei Ebay), so sähen wir am Niederrhein zehntausende Krähen von Holland her hektisch die Grenze überqueren. Der Grund ist, als Hochfliegende werden sie in den Niederlanden verfolgt und müssen um ihr Leben fürchten. Das Asyl in Kleve ist überfüllt, die Tiere hocken bereits auf den Dächern, eine Ausweichmöglichkeit kündigt sich in Herten an, wo die erste Tiertafel eröffnet wurde: 26 Hunde und 46 Katzen sind schon mit Futter und Sachspenden versorgt, da wird auch etwas für die Krähen übrig sein.
Schon immer war das Ruhrgebiet in Sachen Kleintierhaltung führend, ebenso unschlagbar vorn lag es als Kulturprovinz, ›Ruhr.2010‹ war ein mittlerweile überwundener Ausreißer. So kommt laut einer neuen Studie Dortmund als Kulturstandort auf Platz 26, Duisburg auf 29 – von 30. Wuppertal ist letzter, aber hinter Essen rangiert Köln. Dort hat man jetzt zwei Opernintendanten; weil das teuer ist, erhebt das Rathaus Steuern aufs Schlangestehen und Pommesessen auf dem Gehweg. Noch unbehelligt lebt man in Bochum, so seit Jahren ein Bodyguard Osama bin Ladens; nun gibt der Mann seine einzigartigen Kenntnisse an lernbegierige junge Menschen weiter – Kompetenzzentrum NRW.
Flieg, Sonde, flieg und sieh: Im ganzen Land fahren jetzt Autos mit Kennzeichen von Städten herum, die es gar nicht mehr gibt wie Wattenscheid, Moers oder Vineta. Im Ford-Werk läuft zu den Klängen der Bee Gees wieder der ›Capri‹ vom Band, auch die Uniformen der Polizisten leuchten blau wie ehedem. In Düsseldorf streitet eine Künstlerwitwe mit einem Kunstprofiteur vor Gericht darum, wer welche Werke des toten Künstlers fälschen darf. 4,3 Millionen Obstbäume wachsen zwischen Rhein und Weser, das ist nicht einmal für jeden vierten Bewohner einer. Von Krefeld hört man überhaupt nichts mehr. Eine weitere Studie beweist, dass in Sachen Geschichte die Schüler in Nordrhein-Westfalen am dümmsten sind und auch nach Jahren nichts dazugelernt haben. Aber auch Eliten lernen schwer. Über der Jahrhunderthalle schwebend fängt unsere Drohne den Versuch des Staatssekretärs im Kulturministerium auf, den Namen des ersten Intendanten der Ruhrtriennale zu artikulieren. »Gerd Monnjeh« ist im Kopfhörer zu hören und wird auch beim Wieder- und Wiederabspielen nicht richtiger.
Ja, unser Flugspion kann Stimmen aufzeichnen und E-Mails ausspähen. Auf dem ihn steuernden Smartphone erscheinen die Pläne der Landesregierung: Nordrhein-Westfalen will der EU beitreten. Das ist logisch zwingend, NRW ist höher verschuldet als Griechenland, das Durchschnittsrenteneintrittsalter liegt bei 57,8 Jahren, seine Bevölkerung, vor allem des Ruhrgebiets und Münsterlandes, ist seit Menschengedenken daran gewöhnt, von Subventionen zu leben, die Finanzierung des nicht selbst erarbeiteten Wohlstands kommt aus dem Ausland. Zu diesem Zweck kauft der Finanzminister Steuerdaten-CDs aus der Schweiz, eine einzige kostet 3,5 Millionen. Raubkopieren kommt eben teuer, dabei kriegt man die gewünschten Inhalte relativ preiswert und legal bei iTunes. Eine CD kann man sich anschließend ja selber brennen – weiß der Finanzminister das nicht? Dieser Planet ist ein Rätsel, auch nach mehrminütigem Flug bleibt unklar, ob sinnvolles Leben hier existiert.