Jörg Stüdemann gibt sich am Telefon ganz aufgeräumt: In den nächsten Tagen werde ein großes Maßnahmenpaket fürs U im Rat der Stadt diskutiert und schließlich beschlossen, kündigt Dortmunds Kämmerer an, der seit einem guten Jahrzehnt in Personalunion auch Kulturdezernent der Stadt ist. Ob die Sache allerdings so reibungslos verläuft, wie er sich das wünscht, wird man noch sehen, denn es geht nicht nur um Details.
Im Mittelpunkt der Pläne steht die Entscheidung, künftig auf eine künstlerische Gesamtleitung für die sieben U-Etagen zu verzichten. Damit würde ein konzeptioneller Konstruktionsfehler des 2010 als »Zentrum für Kunst und Kreativität« eröffneten Gebäudes endlich beseitigt. Mit dem Museum Ostwall und der UZWEI – einem Zentrum für kulturelle Bildung – sind nämlich nur zwei der insgesamt sechs »Turm-Bewohner« tatsächlich städtische Einrichtungen – die anderen vier aber rechtlich wie inhaltlich weitgehend selbstständige Mieter: Im ersten Stock unterhalten die Technische Universität und Fachhochschule Schauräume beziehungsweise einen Innenstadtcampus. Im dritten residiert der Hartware MedienKunstVerein (HMKV). Das Gastro-Unternehmen panUrama betreibt sogar gleich drei Etablissements: das »Emil« im Kellergewölbe, das »Moog« im Erdgeschoss und das »View« auf der Dach-Etage mit ihrem spektakulären Ausblick.
Die Idee einer künstlerischen Gesamtintendanz für eine derart gemischte Besetzung war in den vergangenen zehn Jahren gleich zweimal gescheitert. Der erste Amtsinhaber Andreas Broeckmann warf schon ein gutes Jahr nach der zunächst bloß temporären Eröffnung des U im Kulturhauptstadtjahr 2010 (andernfalls hätte man viele Millionen von Land und EU zurückzahlen müssen) die Brocken hin. Entnervt von der Dauerbaustelle um, im und auf dem denkmalgeschützten Brauturm sowie diversen Konflikten mit der Verwaltung wechselte er im Herbst 2011 an die Uni Lüneburg. Daraufhin nahm der damalige Chef der städtischen Kulturbetriebe, Kurt Eichler, die Sache selbst in die Hand. Er agierte eher im Stillen und befriedete mit seinem kooperativen Stil das Haus – bis 2017 der Niederländer Edwin Jacobs nicht nur als neuer Chef des Museum Ostwall verpflichtet wurde, sondern auch wieder als Direktor für das ganze U. Ihm eilte ein exzellenter Ruf als kreativer Kulturmanager voraus, und obwohl er ein kommunikativer Typ war, traten schnell atmosphärische Störungen auf. Die waren bereits in seiner Stellenbeschreibung angelegt: Auf dem Papier sollte Jacobs das ganze Haus leiten – in der Praxis hatte er gegenüber den meisten Akteuren jedoch keinerlei Weisungsbefugnis.
Dauerndes Kompetenzgerangel war also vorprogrammiert, zudem traf Jacobs selbst manch falsche Entscheidung. Und gleich sein erstes großes Ausstellungsprojekt wurde ein finanzielles Desaster: Die Pink-Floyd-Werkschau »Their mortal remains« wollten zwischen September 2018 und Februar 2019 statt der kalkulierten 150.000 Fans weniger als halb so viele sehen. Das städtische Rechnungsprüfungsamt analysierte im Herbst danach die verwaltungsinternen Vorgänge rund um die Ausstellung und errechnete dabei ein mögliches Gesamtminus von bis zu 3,7 Millionen Euro. Außerdem listete es reihenweise, teils kapitale Fehler im Umgang mit dem Projekt auf: Grundsätze des Vergaberechts seien ignoriert und eigentlich zuständige Stellen der Verwaltung nicht eingebunden worden; einzelne Vorgänge seien sogar illegal gewesen. Wer dabei für was konkret die Verantwortung trug, ließen die Prüfer offen.
Da hatte Edwin Jacobs Dortmund bereits wieder verlassen. Er ging noch im Frühjahr 2019 zurück in die Niederlande und wurde dort umgehend Direktor der ebenso renommierten wie innovativen Kunsthochschule Maastricht. Die leitet er mit großem Erfolg, wie man von dort hört. In Dortmund übernahm erneut der Chef der Kulturbetriebe die direkte Zuständigkeit für das U. Der heißt mittlerweile Stefan Mühlhofer, nachdem Kurt Eichler 2017 in den Ruhestand gegangen war. Auch Mühlhofer war zunächst damit beschäftigt, die Wogen im Haus und bei der stets kritischen Politik im Rat der Stadt zu glätten. Vor allem aber musste er die gröbsten Mängel in Organisation und Management des U-Turms beseitigen.
Im Zuge dessen wurde Ende 2019 ein kaufmännischer Geschäftsführer geholt. Den Job übernahm mit Stefan Heitkemper ein Mann aus der städtischen Kämmerei, der jetzt auch eine von zwei Schlüsselpersonalien der Neuorganisation ist: Als Geschäftsbereichsleiter würde er künftig die Gesamtverantwortung für das Management des U tragen. Inhaltlich soll das Kulturzentrum noch mehr als bisher auf drei gleichberechtigten Säulen stehen: Wissenschaft, Digitalität und Ausstellungsbetrieb. Letzterer wird einer noch zu findenden Direktorin oder einem Direktor im Museum Ostwall anvertraut, die oder der das künstlerische Programm auf den Etagen vier bis sechs gestaltet. Allerdings steckt auch darin wieder einiges an Konfliktpotential: Geschäftsbereichsleiter Heitkemper wird so nämlich das letzte Wort über die Budgets der künftigen Museumsleitung haben. Das strukturelle Machtgefälle zwischen kuratorischem Wagemut und wirtschaftlichen Kennzahlen ist hier schon vorab eingebaut.
Leuchtturm ohne Ausstrahlung
Eine ganz andere Frage lässt sich ebenfalls nicht mehr lange ignorieren: Ist »Museum Ostwall« ein guter Name für die zentrale Kunsteinrichtung im U? Immerhin liegt der frühere Ostwall-Standort am entgegengesetzten Ende der Innenstadt und beherbergt heute das Baukunstarchiv NRW. »Darüber wird man nachdenken müssen«, sagen Stadtdirektor Stüdemann und Kulturbetriebe-Chef Mühlhofer dazu beinahe gleichlautend. Wie über vieles andere hoffentlich auch, möchte man hinzufügen. Denn das einzigartige Gebäude mit seinen hochkarätigen Akteur*innen zu einem Leuchtturm von überregionaler Ausstrahlung zu machen, ist den Verantwortlichen bis heute nicht wirklich gelungen. Weder die weithin (und nach einer technischen Erneuerung bald wieder) sichtbaren Fliegenden Bilder Adolf Winkelmanns auf dem Dach, noch die gewiefte PR des erfahrenen Kulturpolitikers wie -ermöglichers Jörg Stüdemann können über einen schlichten Fakt hinwegtäuschen: Die 200.000 und mehr Besucher*innen, die das U im Jahr zählen wollte, wurden tatsächlich nie erreicht. Der 90 Millionen Euro teure Bau mit mehr als 12 Millionen jährlichen Kosten allein bei den Dortmunder Kulturbetrieben bleibt bislang weit hinter den rein zahlenmäßigen Erwartungen zurück. Stefan Mühlhofer sagt dazu schlicht: »Wir brauchen einen langen Atem.«
Dabei mangelt es dem U gar nicht an Erfolgsgeschichten. Das gilt ganz buchstäblich für den Hartware MedienKunstVerein, denn erst dessen Ausstellungsprojekt »Reservate der Sehnsucht« im damals brachliegenden Turm der Union-Brauerei hatte 1998 den Anstoß zum heutigen Zentrum für Kunst und Kreativität gegeben. HMKV-Direktorin Inke Arns berichtet sogar, dass sich die Zahl ihrer Besucher*innen während der zehn Jahre im U verdreifacht hat. Auch die Fachwelt blieb ihr gewogen: Vor ein paar Wochen hat die deutsche Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbandes (AICA) die HMKV-Schau »Artist and Agents« zur Ausstellung des Jahres 2020 gekürt.
In der Etage darunter genießt das Zentrum für Kulturelle Bildung UZWEI einen ebenso exzellenten Ruf wie auch das storylabKIU der Fachhochschule im ersten Stock. Dessen Direktor Harald Opel hat das einstige Forschungsinstitut für Bewegtbildstudien Winkelmanns zu einem international renommierten Labor für Virtual und Augmented Reality, 360-Grad-Film und immersive Erlebniswelten weiterentwickelt. Damit rangiert die Dortmunder FH in der Welt der digitalen Präsentation nicht nur wissenschaftlich ganz weit vorne. Und sogar der Keller des U ist ein ausgezeichneter Ort, im wahren Sinne des Wortes. Der Restaurantführer Gault Millau lobt das »Emil« mit Küchenchef Sebastian Felsing schon länger, 2019 wurde ihm eine der begehrten Hauben zuerkannt.
Das edle Lokal im schicken Kellergewölbe ist eine von insgesamt drei Locations, die Till Hoppe und Thomas Pieper im U betreiben. Auch sie wollen nach der Corona-Pause Neues wagen, wie Pieper im persönlichen Gespräch ankündigt: Künftig soll die Dach-Etage unter dem neuen Namen Brauturm mit einem Wirtshaus-Konzept auch an Wochentagen voller Leben sein – so lautet jedenfalls der Plan. Das lange Zeit als Club für vorwiegend jüngere Fans von Black Music erfolgreiche »View« ist damit Geschichte. Die Betreiber hoffen dann ganztags auf ein Publikum, »das mehr dem Querschnitt der Bevölkerung entspricht«, wie Pieper sagt. Dafür entwickele »Emil«-Küchenchef Sebastian Felsing ein bodenständiges, aber qualitativ hochwertiges Küchenangebot. Und wenn am späteren Abend doch mal Partystimmung aufkommt, soll auch das Feiern bei Clubmusik möglich sein. Für exklusive Events wird die begehrte Dach-Etage zudem weiterhin buchbar sein.
Ein Sorgenkind bleibt allerdings das »Moog« im Erdgeschoss, vor allem tagsüber. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Die Betreiber beklagen glaubwürdig, dass die geringe Besucherfrequenz dem Cafébetrieb seit Jahren nur Verluste beschert. Die anderen Turm-»Bewohner« hadern hingegen mit dem Angebot, und alle zusammen sind unglücklich mit der räumlichen Situation, innen wie außen, tagsüber wie abends. Die zählt in der Tat zu den größten Problemen des U, in jeder Hinsicht: Man findet schlecht rein, und wenn man drin ist, fühlt man sich nicht willkommen. Die trutzburghafte Architektur außen wirkt genauso abweisend wie das zentrale Foyer. Es erinnert mehr an verlassene Empfangsbereiche von Versicherungskonzernen an einem frühen Sonntagmorgen als an das quirlige Entrée eines belebten oder gar beliebten Kulturortes. »Auch daran werden wir jetzt ganz gezielt arbeiten«, sagen Kulturbetriebe-Chef Mühlhofer und Kulturdezernent Stüdemann. Doch das hört man ebenfalls nicht zum ersten Mal. Und so orientiert sich die Zukunft des Dortmunder U weiterhin an seiner prägnanten Form: Nach oben ist es immerhin offen.