TEXT: MARTIN KUHNA
Vernissage einer Kunstausstellung in Essen, vor einigen Jahren. Keine Hobbykunst, aber auch keine großen Namen. »Local Heroes« stellen aus. Unter die üblichen Verdächtigen hat sich ein betagtes Paar gemischt. Vor allem der Mann zieht Blicke auf sich: kräftiges Haar, buschige Augenbrauen, eleganter Anzug. Man tuschelt: »Ist das nicht …?« Berthold Beitz? Weiß Gott, das wär’s: Sollte ›BB‹ sich aus irgendeinem Grund begeistern am Werk eines der Künstler – dessen Auskommen und Reputation wären gesichert.
Er war es nicht. Doch die kurz aufblitzende Hoffnung war für Essener Verhältnisse nicht ganz abwegig. Etwa zur gleichen Zeit gab es in Essen einen Eklat um die neue Philharmonie und ihre Finanzen, um das Sponsoring durch die Wirtschaft. Der neue Intendant Johannes Bultmann schaffte die Wende. Vor kurzem erinnerte er sich: »Es gab ein entscheidendes Gespräch mit Berthold Beitz.«
ALLE AUGEN SCHAUEN AUF DICH
So ging das in Essen. Zwei Jahre zuvor hatte Beitz die klamme Stadt aus einer noch viel größeren Verlegenheit erlöst: Das Folkwang Museum brauchte ein neues Haus. Beitz entschied, dass die Krupp-Stiftung allein den Bau bezahlen werde: 55 Millionen Euro. Das war eine Sensation, aber nur wegen der Größe des Geschenks. Dass der alte Mann überhaupt helfen würde, darauf hatte Essen verzweifelt fest gebaut: »Wie immer bei großen Kulturprojekten«, sagte neulich Ex-Museumschef Hartwig Fischer, »richteten sich die Hoffnungen auf den Hügel, auf die Krupp-Stiftung, auf Berthold Beitz.« Auf einen Greis 30 Jahre jenseits der Pensionsgrenze. Wie war das möglich?
Im Herbst 1953 kam Beitz nach Essen, 40 Jahre alt, gutaussehend, extrovertiert, schon mit allen Allüren eines Star-Managers. Er kam zu jenem Unternehmen, das damals noch einem einzigen Mann gehörte: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Der schwermütige Konzernchef hatte Beitz zufällig kennengelernt, ihn schüchtern umworben und über-raschend zu seinem »Generalbevollmächtigten« gemacht, der den Konzern fortan gründlich aufmischte – aber stets in geradezu symbiotischer Abstimmung mit dem Alleininhaber.
BEITZ WIRD HAUSMEIER
1967 starb Alfried Krupp. Zuvor hatte er sein Haus bestellt und sein Vermögen im Todesfall auf eine neu gegründete Stiftung übertragen. So sollten die Firma beisammen, Familie und Banken draußen gehalten werden, sollte nach kruppscher Tradition Geld zur Förderung des Allgemeinwohls bereitgestellt werden. Zum Testamentsvollstrecker und Chef der Stiftung bestimmte Krupp – Berthold Beitz.
Das schien nicht sehr viel zu bedeuten. Kurz zuvor hatte Krupp mangels Eigenkapital Exportaufträge nicht vorfinanzieren können. Banken und Bundesregierung machten einen Skandal daraus und ließen sich ihre Unterstützung teuer bezahlen: Das »Einzelunternehmen« Krupp wurde zur GmbH, bekam Vorstand und Aufsichtsrat, musste Einblick in die Geschäfte geben. Berthold Beitz wurde weder Vorstand noch Vorsitzender des Aufsichtsrates. Seine »Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung« erhielt nur eine bescheidene Dividende.
Doch schon 1970 manövrierte Beitz sich zurück an die Konzernspitze als mächtiger Aufsichtsratsvorsitzender, der seinen oft wechselnden Vorständen energisch dreinredete. Erst 1987 gab er das Amt ab und schien die Zügel mit 74 Jahren endlich lockerer zu lassen. Tatsächlich aber änderte sich wenig. Ohne Berthold Beitz wurde im Konzern auch während der folgenden 25 Jahre nichts Wichtiges entschieden. Seiner Stiftung verschaffte er in guten wie in schlechten Jahren respektable Dividenden. Was mit dem Geld gefördert wurde, entschied Beitz als Doppel-Vorstand (Stiftung und Kura-torium) de facto souverän. Als ein Kuratoriumsmitglied mal widersprach und hinzufügte: »Das wird man doch noch sagen dürfen«, soll Mitkurator Johannes Rau gespöttelt haben: »Jetzt gehen Sie aber sehr weit …«
ÜBER ALLEN DINGEN
Beitz’ Stärken waren Zielstrebigkeit, Charme und Chuzpe sowie seine nicht zu erschütternde Überzeugung, dass er im Sinne Alfried Krupps handele und dessen Vermächtnis bis zum letzten Atemzug zu hüten habe. Zuletzt haben Beitz’ biblisches Alter und seine erst spät bekannt gewordene Vergangenheit als Retter todgeweihter Juden ihn noch weniger angreifbar gemacht. Es liegt indes auf der Hand, dass sein autokratisches Regime gravierende Nachteile haben musste. Wer mit der Stiftung zu tun hatte, mit dem »Alfried Krupp Krankenhaus«, mit der Villa Hügel und mit Krupps Geschichte, der erlebte: Selbst Kleinigkeiten gingen nicht ohne Beitz. Fatal, wenn er Nein sagte oder Mitarbeiter dies vorauseilend beflissen annahmen. Man ahnt, dass im Konzern solche Furcht vor dem alten Herrn beigetragen hat zur unguten Mischung aus Selbstherrlichkeit, Intrige und Byzantinismus.
Andererseits: Ohne Berthold Beitz als letzten Repräsentanten Kruppscher Werksfürsorge wäre die Firma vielleicht längst radikal »verschlankt« worden, wäre sie aus dem traditionell-identitätsstiftenden, aber volatilen Stahlgeschäft ausgestiegen oder Teil irgendeiner global agierenden ›Group‹ geworden. Ganz sicher wäre ohne ihn die Stiftung viel kürzer gehalten worden, hätte nicht über 625 Millionen Euro mäzenatisch für Kunst, Kultur, Bildung, Soziales und Sport ausgeben können. Zu schweigen von der einsamen Entscheidung, Essen ein ganzes Museum zu schenken. Das wird anders werden, ganz anders.
DIE FÖRDERMITTEL GEHEN NACH ESSEN
Seit Beitz 25,01 Prozent der wieder mal um Geld verlegenen Firma 1978 an Iran verkauft hat, ist die Stiftung nicht mehr alleinige Eigentümerin. Nach der feindlichen Übernahme des Dortmunder Konkurrenten Hoesch besaß die Stiftung noch 51 Prozent an der neuen AG, nach der Fusion mit Thyssen 1999 nur noch 17,36 Prozent: erstmals keine Sperrminorität mehr. Und die Konzernzentrale war nun in Düsseldorf. Diesen Trend hat Beitz mit über 90 Jahren in einem Kraftakt noch einmal umgekehrt: Er ließ die Stiftung für viel Geld ihren Firmenanteil wieder auf 25,3 Prozent erhöhen. Setzte den Bau der neuen Konzernzentrale in Essen durch, schenkte der Stadt das Folkwang-Museum. So viel Krupp war dort lange nicht gewesen.
Aber jetzt braucht Thyssen-Krupp nach katastrophalen Managementfehlern wieder mal dringend Geld. Ob nach einer voraussichtlichen Kapitalerhöhung die Stiftung ihre Sperrminorität (mit Hilfe der RAG Stiftung?) behalten kann oder nicht, ob man sich von der Stahltradition trennt, das spielt ohne Beitz und seine Bindung an Alfried Krupp vermutlich eine geringere Rolle. Vorstand und Aufsichtsrat können endlich ohne Furcht vorm Übergroßvater agieren. Dass die Stiftung dabei eher mageren Zeiten entgegengeht, ist nahezu sicher. Dass ihre neue Führung mit dem Vorhandenen weniger freigebig umgehen wird, ebenfalls. Von Verwerfungen bei Thyssen-Krupp hat womöglich das gebeutelte Duisburg am meisten zu fürchten: Dass die Firma sich von den Stahlwerken dort trennen könnte, wird schon seit Längerem gemunkelt. Wenn die Stiftung knauserig wird, trifft das aber besonders Essen: Fast die Hälfte der Fördermittel gingen während der vergangenen 30 Jahre in die Krupp-Stadt und die nähere Umgebung.
Hier, wo er einst »nicht tot überm Zaun« hatte hängen wollen, ist Berthold Beitz nun begraben. Ganz nah neben den Krupp/von Bohlen und Halbach, was deren Familie mit Stirnrunzeln bemerkt haben wird. Die Geburtstagsfeier zu seinem Hundertsten am 26. September wird nun eine Trauerfeier sein, wenn auch mit dem ursprünglich geplanten öffentlichen Jazzkonzert in der Philharmonie.
NACH BEITZ NIE MEHR BEITZ
Die Nachkriegsgeschichte der Firma Krupp wird in absehbarer Zeit neu geschrieben werden, da ›BB‹ nicht mehr über den Quellen wacht und die letzte Deutungshoheit für sich beansprucht. Sein Anteil an den immer wiederkehrenden Krupp-Krisen wird kritischer beleuchtet werden. Das wird seinem schon zu Lebzeiten legendären Ruf als Mensch und Wohltäter kaum Abbruch tun. Dass er die Rolle eines strengen, doch gerechten und mildtätigen, vom Volk innig verehrten Alleinherrschers strukturell längst nicht mehr hätte spielen dürfen, trifft als Vorwurf weniger den alten Mann als jene, die ihm letztlich nicht gewachsen waren. Aus Berthold Beitz’ Sicht war der Anachronismus nicht zu ändern, ehe mit seinem langen Leben endlich auch die Geschichte der alten Firma Krupp zu Ende ging. »Nach Beitz wird es keinen Beitz mehr geben«, hat er gesagt. Das ist auch gut so – nur nicht für jene, die ihre Hoffnungen stets in den guten alten Mann auf dem Hügel setzten. Der Mäzen ist tot, es lebe das Förderungsantragsformular!