Eigentlich sind Eltern die besseren Arbeitnehmer*innen, sie sind pragmatischer in ihren Entscheidungen, arbeiten schneller und effizienter. Das sagt Mirjam Schmuck, Regisseurin, Dramaturgin, Musikerin und seit 2008 zusammen mit Fabian Lettow Kopf des international arbeitenden kainkollektivs. Und sie ist Mutter. Mirjam Schmuck und Fabian Lettow haben drei Kinder im Alter von zwei bis elf Jahren. Als wir telefonieren, ist Lettow gerade zum Gastspiel in Kamerun. Zwei der drei Kinder sind bei Schmuck zuhause, sie lesen Bilderbücher im Zimmer nebenan. »Wir sind freiberuflich, haben keine gesetzten Arbeitszeiten und müssen ständig neu verhandeln, wer welche Aufgaben wann übernimmt«, erklärt sagt sie. Und solche Pläne müssten auch immer wieder umgeworfen werfen.
Eigentlich sei schon das Wort »Familienvereinbarkeit« ein Oxymoron, meint Frauke Meyer vom Frauenkulturbüro NRW, ein Widerspruch in sich. Denn eigentlich ist am Theater »jede*r sein eigenes KBB«. Das KBB ist das künstlerische Betriebsbüro, das an den Bühnen alle zentralen Abläufe steuert, zuständig ist für Logistik und Organisation und auch auf alle kurzfristigen Änderungen im Betriebsablauf reagiert. Eltern sein im Theater heißt in der Regel: Proben bis 22 Uhr, ständiges Reisen, familienfreundliche Wohnungen finden, das Kind für wenige Wochen an einer neuen Schule anmelden, den eigenen Körper pflegen und fit halten und Care-Arbeit leisten. Die Liste an Anforderungen ist lang und mit dieser Aufzählung bei weitem nicht erschöpft. Erfasst sind sie in einer Studie, die das Frauenkulturbüro zusammen mit dem Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und der Hochschule Niederrhein mit den Modelltheatern Oberhausen und Münster durchgeführt hat. Anfang des kommenden Jahres soll nicht nur diese Studie, sondern auch ein Leitfaden veröffentlicht werden mit direkten Ansagen, was nötig wäre und was man tun kann, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf am Theater zu verbessern. Gerichtet ist der an Intendanzen, an Häuser, an die Träger, an die Kulturpolitik.
Jede vierte Mutter verliert ihren Vertrag an Stadttheatern
Denn das Problem ist kein privates, es ist ein gesellschaftliches. Beim Symposium »Familienvereinbarkeit in den Performing Arts«, das das Frauenkulturbüro im Mai im Theater Oberhausen ausgerichtet hat, wurde Klartext geredet: »Mutterschaft am Theater ist nicht sexy«, sagte zum Beispiel Annika Mendrala, Sängerin und Gründerin des Vereins »Bühnenmütter«. Viele Frauen bekämen nach der Geburt ihres Kindes nur noch Nebenrollen oder Produktionen in kleinen Häusern angeboten. Jede vierte Mutter verliere ihren Vertrag. Aber auch ein Techniker und junger Vater hakte mal nach, warum es in den Tarifverträgen am Theater eigentlich keine Chance auf andere Arbeitszeiten gebe. Nur vormittags zu arbeiten und nicht am Wochenende, das wäre familienfreundlich. Immerhin, das Thema Care-Arbeit nehme an Präsenz in den Häusern zu, berichtete Professorin Nicola Scherer aus der Studie. In Gagenverhandlungen zum Beispiel werde darüber gesprochen. Aber die meisten Häuser hätten bislang weder eine Strategie noch eine klare Kommunikation.
»Jeder Mitarbeitende hat unterschiedliche, individuelle Bedürfnisse in Bezug auf Familienorganisation und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein für alle Mitarbeitenden familienfreundliches Theater zu schaffen, ist nur schwer möglich«, erklärt Elena Tzavara, die seit dieser Spielzeit Generalintendantin am Theater Aachen ist. Aber dort haben sie einen ersten Schritt unternommen und eine interne Abfrage gestartet, zu welchen Zeiten Unterstützung bei der Betreuung gebraucht wird. Im besten Fall könne der Betrieb anschließend die Arbeitszeiten entsprechend anpassen. Die Samstagsproben sind mittlerweile in einigen Häusern in NRW abgeschafft, so auch im Schauspiel des Theaters Aachen. Außerdem wird dort die nächste Spielzeitpause genau parallel zu den Sommerferien gelegt, damit Familien eine längere gemeinsame Ferienzeit haben. Und über die Stadt soll den Mitarbeitenden eine kostengünstige Betreuungsmöglichkeit auch zu unkonventionellen Tageszeiten ermöglicht werden. »Kinder und Jugendliche sind am Theater Aachen grundsätzlich erwünscht und werden in vielen Prozessen mitgedacht«, sagt Tzavara. Die Sozialräume im Haus würden neu und kinderfreundlich gestaltet und während der Arbeitszeit gebe es Mitmach-Angebote für Kinder und Jugendliche.
Auch Kathrin Mädler vom Theater Oberhausen ist eine der wenigen Engagierten. Auch sie stellte sich dem Thema immerhin öffentlich beim Symposium, diskutierte und argumentierte mit. Im Haus wurde eine Arbeitsgruppe zum Thema Familienvereinbarkeit gebildet. Konkret will sie die Planbarkeit von Proben verbessern, neue Probenmodelle ausprobieren, bewusster kommunizieren und das Thema aus der stillschweigenden Tabuzone herausholen. Im Berufsleben verschweigen vor allem Künstler*innen häufig ihre Elternschaft, sprechen da nicht über Betreuungsprobleme oder körperliche Veränderungen, über Schlafmangel und Stillschwierigkeiten.
Auch Mirjam Schmuck und Fabian Lettow haben als freischaffende Künstler*innen ihre Erfahrungen an städtischen Bühnen gemacht. Sie durften ihre Kinder nicht zu Proben mitbringen, zum Beispiel. Als freies Kollektiv agieren sie flexibler, passen Zeiten an. »Ich probe immer von 10 bis 16 Uhr und auch nicht samstags«, sagt Schmuck, »denn ich will ja auch noch Zeit mit meinen Kindern verbringen«. Einer schwangeren Tänzerin haben sie bis zum achten Monat immer wieder die Kostüme angepasst. Sie bemühen sich, Betreuungskosten in den Finanzierungsplan ihrer Projekte aufzunehmen (was tatsächlich nicht so einfach möglich ist). Und wenn die Regisseurin – aus Zeitmangel – nicht perfekt vorbereitet erscheint bei einer Probe, dann spricht sie es offen an. Nicht jeder Ablaufplan werde immer genau eingehalten. »Wir lassen das Leben auch passieren.« Schmuck hat die Bedeutung ihres Berufes neu vermessen, seit sie Kinder hat: »Ich stehe nicht am OP-Tisch, ich muss kein Flugzeug steuern«. Da bleibe also immer auch Raum für kurzfristige Änderungen. Über Mutter- und Elternsein sprechen sie hinter und auch auf der Bühne. Beim Gaia-Projekt (2020) entwarf Schmuck mit zehn Künstlerinnen aus sechs Ländern einen Raum, in dem Kunst und Kinder gemeinsam existieren können. Sie fragten sich, was es heißt, Künstlerin und Mutter zu sein. Es ist auch ein Abend über weibliche Kräfte, die sich zusammenschließen und so neue Stärke entwickeln.