TEXT: GUIDO FISCHER
Tzimon Bartos Lieblingsschriftsteller ist Jean Paul. Der wiederum war in sein Äußeres nicht eben verliebt. »In meinem Gesicht schwimmt leider jetzo das Oelfett oben«, notierte er selbstspöttisch. An anderer Stelle stellt er fest: »Kein Dicker darf seine Noth klagen – man sollte sich’s ordentlich wegschwitzen.« Jean Paul als Mentor der Fitness-Kultur? Während es der Romantiker dann doch vorzog, als Bücherwurm aufzugehen, hält sich Tzimon Barto an den Ratschlag seines literarischen Idols. Wenn der amerikanische Star-Pianist nicht durch Tournee-Termine abgehalten wird, geht er morgens für eine halbe Stunde ins Sportstudio, um nicht etwa leichtes Laufband-Training und Gymnastik zu absolvieren, sondern Hochleistung zu bringen, wie seine überaus muskulöse Statur bestätigt.
Barto, der selbst der Bodybuilder-Szene ein Begriff ist, wird in der Klassik-Branche gelegentlich als »Arnold Schwarzenegger des Klavierspiels« bezeichnet. Über solche Vergleiche kann er nur schmunzeln. Seit er sich vor dreißig Jahren entschied, vom Pummelchen zu einem Kerl wie ein Schrank zu mutieren, sieht er sich gern im Spiegel an. Für den Narziss gehört es zur Lebensqualität, dass sich Muskeln leichter anfühlen als Fett und er damit mehr Energie fürs Wesentliche besitzt. Und zum Wesentlichen gehört für ihn schon länger nicht mehr nur die Musik.
Er perfektioniert seine Sprachkenntnisse in Deutsch, Französisch und Italienisch und lernt gerade Chinesisch, liest philosophische Texte im althebräischen, altgriechischen und lateinischen Original und widmet sich seinem literarischen Opus Magnum. In Eustis/ Florida, wo er 1963 als John Barto Smith jr. geboren wurde und inzwischen wieder lebt, arbeitet er an seinem umfangreichen Epos »The Stelae«. Tausende Gedichte und zwölf große, teilweise bereits veröffentlichte Romane soll es einmal umfassen und einen Bogen von biblischen Stoffen bis zur Gegenwart schlagen. Zudem hat er Pläne, dieses wahrscheinlich in zehn Jahren komplett im Druck vorliegende Menschheits-Kaleidoskop in ein dauerhaftes Gesamtkunstwerk zu verwandeln. Auf einem Grundstück in Florida will Barto 3367 Granit-Stelen aufstellen, in die jeweils ein Roman-Kapitel oder ein Gedicht eingemeißelt werden. Auch will er in die Steine Löcher bohren lassen: »Wenn der Wind darüber geht, hört man die Obertonreihe. Die Steine singen.«
Aktuell sieht sich Tzimon Barto zuerst als Schriftsteller und erst dann als Musiker. Inspiration holt er sich von Jean Paul und E.T.A. Hoffmann ebenso wie von Ezra Pound und Arno Schmidt. Doch seine künstlerische Rangordnung täuscht. Als Musiker ist er in seiner Höchstform, zumal er gestalterische Marotten von einst – exzentrische Tempi und ein allzu freier Umgang mit dem Notentext – abgelegt hat. Heute spielt Barto auch live ausschließlich vom Blatt, um sich auf die visionär modernen Tiefen beim späten Schumann oder bei Schubert zu konzentrieren.
Bei seiner Einspielung von Cembalo-Piècen des Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau, der auch in Bartos Recital bei den Brühler Schlosskonzerten auf dem Programm steht, zeigt er, wie federleicht athletische Finger über die Tasten schweben können. In den mal empfindsam innigen, mal elegant liebenswürdigen Kostbarkeiten entdeckt er fein nuancierte Ausdrucksfarben, die so nur auf einem modernen Flügel möglich ist.
2005 feierte Barto mit dem Franzosen Rameau nach langer Studio-Abstinenz ein fulminantes Comeback. 14 Jahre lang war von ihm nichts auf Tonträger zu hören gewesen. Was auch private Gründe hatte. So verursachte der Tod seines zweiten Sohnes 1994 bei ihm eine Krise, aus der er zunächst nur über das Schreiben herausfand. Zwar folgte 1998 das überfällige Debüt in der New Yorker Carnegie Hall. Doch statt damit wieder an seine Karriere anzuknüpfen, die Mitte der 1980er Jahre mit einer Einladung von Herbert von Karajan zu den Salzburger Festspielen begonnen hatte, zog es ihn musikalisch in andere Gefilde. Mit dem Jazz-Sänger Al Jarreau ging er auf Tournee, während eine mit Paul McCartney geplante Crossover-Aufnahme scheiterte, da sich McCartneys Ehefrau Linda als Vegetarierin an Bartos Lederkleidung stieß. 2000 trat Barto in Singapur als geschminkter Pianist für Robert Wilson in der Multi-Media-Oper »Hot Water« auf, die auf Liszts „Etudes d’exécution transcendante« basiert.
Seit jenen unsteten Jahren hat sich bei Barto einiges getan. Äußeres Zeichen der Veränderung: Der Zopf ist auch ab. In der deutsch-amerikanischen Schriftstellerin Irene Dische hat er eine Partnerin, die ihn bei seinen literarischen Vorhaben unterstützt. Er gastiert mit Top-Orchestern von Chicago bis Berlin oder mit seinem Lieblingsdirigenten Christoph Eschenbach. Seit 2006 vergibt er bei einem Internationalen Kompositionswettbewerb den nach ihm benannten Barto Prize zur Förderung zeitgenössischer Musik. Der Workaholic hat damit jene Überlegung widerlegt, an der noch Jean Paul verzweifelte: »Hätt ich nicht geistig hervorzubringen, wie streng wollt ich meinen Körper halten.« Trotzdem ist er kein Mister Perfect noch rigoroser Gesundheitsapostel. Barto raucht wie ein Schlot. Irgendwie beruhigend.
Tzimon Barto spielt Werke von Haydn, Rameau und Ravel am 22. August 2012 auf Schloss Augustusburg, Brühl; www.schlosskonzerte.de