Im Juni hat Daniele G. Daude die Künstlerische Leitung und Geschäftsführung des Ringlokschuppen Ruhr in Mülheim übernommen. Was hat sie vor?
kultur.west: Sie stammen aus Frankreich, haben Ihre Karriere dort als ausgebildete Geigerin begonnen. Warum haben Sie sich entschieden, nach Deutschland zu kommen?
DAUDE: Es war die Opernregie, die mich nach Deutschland gebracht hat. Dafür gab es damals keinen dezidierten Studiengang in Frankreich und die Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin war sehr renommiert. Der Plan war, Opernregisseurin zu werden. Später landete ich am Theater Oberhausen und die Erfahrung, im Ruhrgebiet zu arbeiten, war sehr schön. Ich habe angefangen, die Region kennen zu lernen und die breit gefächerte Kulturszene. In Berlin hatte ich das Gefühl, man bewegt sich immer in einer verhältnismäßig kleinen Bubble – bezogen auf die Größe der Stadt. Ich war dort 20 Jahre und irgendwann kennen sich alle. Hier erscheint mir die Szene vielfältiger und aufgefächerter.
kultur.west: Was hat Sie daran gereizt, die Leitung des Ringlokschuppens zu übernehmen?
DAUDE: Ich habe viele Jahre an staatlichen Institutionen gearbeitet – Universitäten, Kunsthochschulen, Opernhäusern, Konzerthäusern, am Stadttheater – und ich weiß, wie langsam sich diese Institutionen bewegen. Am Ringlokschuppen haben mich die Möglichkeiten gereizt. Das Haus hat eine interessante Geschichte als soziokulturelles Zentrum – und es ist ein extremer Luxus, mit so einem engagierten Team zu arbeiten, dass sich die Zeit nimmt, um Dinge möglich zu machen, auch wenn man hier nicht reich wird. Man kann viel Vermittlungsarbeit machen, das ist ein Feld, das ich auch weiter ausbauen möchte. Das Haus wurde 2019 mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. Dieses Jahr hatten wir die Eröffnung von Tanz NRW im Haus. In der freien Szene ist der Ringlokschuppen sehr bekannt, er ist ein wichtiger Ort für den Nachwuchs. Viele, die hier angefangen haben, sind jetzt in Berlin und sprechen sehr positiv über ihre Anfänge im Ringlokschuppen.
kultur.west: Der Ringlokschuppen hat in den vergangenen Jahren eine interessante Entwicklung gemacht von einem klassischen soziokulturellen Zentrum hin zu einem Ort für Theater-Experimente…
DAUDE: Das waren Entscheidungen meiner Vorgänger*innen, das Haus mehr und mehr zu einem Ort für Performance zu machen, damit es sich etabliert und profiliert für die freie Szene. Da kann ich total gut anknüpfen.
kultur.west: Der Ringlokschuppen hat in den vergangenen Jahren besondere Anstrengungen beim Thema »Diversifizierung« unternommen. Ist das gut gelungen?
DAUDE: Ich bin kein großer Freund dieses Begriffs. Es geht nicht darum »divers« oder inklusiv« zu werden, sondern sich der eigenen ungerechten Machtstruktur zu stellen. Theater ist mehr als die einseitige Perspektive einer weißen cis-männlichen bildungsbürgerlichen Minderheit. Spätestens wenn das Publikum ausbleibt, wird dann doch noch nach »Diversität und Inklusion« gesucht. Wichtig ist, sich die Frage zu stellen: Wer sitzt überhaupt am Tisch? Und dabei geht es nicht darum, jemandem einen Gefallen zu tun. Es geht darum, die Gesellschaft abzubilden. Die Personen sind ja alle da und sind auch gut qualifiziert. Ich bin nicht die einzige Person, die nicht zur weißen Mehrheitsgesellschaft gehört, mit akademischem Hintergrund – in meinem Fall einer Promotion im Fach Theaterwissenschaft und im Fach Musikwissenschaft. Es geht darum, dass wir uns fragen: Warum wird bei gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen immer aus der gleichen weißen cis-männlichen, bildungsbürgerlichen Perspektive gesprochen? Es geht also nicht um Diversifizierung, sondern um kritisches Weißsein und das Infragestellen von Machtstrukturen, um die Möglichkeiten von Teilhabe.
kultur.west: Für welche Entwicklungen wollen Sie am Ringlokschuppen einstehen?
DAUDE: Es gibt viele Ideen, die langsam ins Rollen kommen. Vor einer großen Konferenz, die es dazu im Herbst geben wird, kann ich als Teaser sagen: Wenn es um langfristige Kooperationen und Partner*innen geht, wird vieles bleiben, zum Beispiel Tanz NRW oder das Theaterfestival Impulse. Was mir sehr wichtig ist, sind die Vermittlungsformate. Ich habe da aus meiner Zeit an Opernhäusern und am Berliner Konzerthaus sehr viel mitgenommen, wo gute Vermittlung nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Familien und Erwachsene gemacht wird. Für Erwachsene und sogenannte Senioren gibt es bisher sehr wenig Angebote. Ich möchte Kooperationen in der Stadt und in der Region vertiefen und erweitern. Und weil ich ja aus der Musik komme, wird Musik definitiv eine große Rolle spielen. Ich werde nicht alles in Richtung Musiktheater umstrukturieren, aber in der zeitgenössischen Musik gibt es ja vielfältige interessante Formen.
kultur.west: Stehen Sie auch für Kontinuität, was das Comedy-Kabarett-Programm angeht?
DAUDE: Was das Popkultur-Programm angeht, müssen wir schauen, was wir beibehalten wollen oder wo es Erneuerungsbedarf gibt. Personen wie Hagen Rether oder Sarah Bosetti haben definitiv weiter ihren Platz hier, aber im Comedy-Bereich gibt es auch eine interessante neue Generation. Im Ringlokschuppen treten ja schon junge Menschen zum Beispiel aus der Slam-Poetry-Szene auf.
Zur Person
Dr. Dr. Daniele G. Daude wird auf der Homepage des Ringlokschuppen als Musik-, Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin für Konzert, Oper und Theater genannt – in ihrer Email-Signatur hat sie hinter ihrem Namen noch den Zusatz »(keine Pronomen)« hinzugefügt. Sie hat Musik am Conservatoire National (Region Aubervilliers) studiert und in Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Musikwissenschaft an der Université Paris 8 promoviert. Von 2013 bis 2015 war sie Gastprofessorin für Darstellende Künste an der Kunsthochschule Campus Caribéen des Arts (Martinique). 2016 gründete sie das Ensemble »The String Archestra«, um Werke von schwarzen, indigenen und PoC Komponist*innen aufzuführen, die aus der kanonischen Musikgeschichtsschreibung und aus dem standardisierten Konzertrepertoire verschwunden sind. Daude arbeitet seit 2020 als Dramaturgin in NRW, wo sie 2021/2022 am Theater Oberhausen eine feministische Programmreihe kuratierte. Neue Kaufmännische Leiterin am Ringlokschuppen ist die Kulturmanagerin Leonie Arnold.