TEXT: GUIDO FISCHER
Zu Beginn des Jahres war Pablo Heras-Casado mit den französischen Neue Musik-Spezialisten vom Ensemble intercontemporain unterwegs. Danach dirigierte er das Königliche Concertgebouworchester aus Amsterdam und gab die etwas andere S-Klasse Schostakowitsch, Sibelius und Szymanowski. Auf sein Debüt bei den New Yorker Philharmonikern folgt darauf nun mit dem Freiburger Barockorchester eine große Europa-Tournee. Ein Zwischenstopp wird in der Kölner Philharmonie eingelegt. Weil Heras-Casado darüber hinaus auch noch die Oper liebt, stehen Gastspiele bei den Festspielen in Aix-en-Provence, an der Met und in St. Petersburg an.
Als »musikalischer Allesfresser« hat sich der Spanier bezeichnet. Tatsächlich scheint es derzeit keinen zweiten Dirigenten seines Rangs zu geben, der so stilsicher auf allen musikalischen Hochzeiten tanzt. Große Symphonik und Operndrama von Verdi bis Bizet, historischer Originalklang und flammneue Moderne: Für Heras-Casado gibt es kein Entweder-oder, sondern nur sowohl-als auch. Oder wie es einer seiner Mentoren, der Dirigent und Komponist Peter Eötvös sagt, für ihn sei »Musik Musik, ob alte, ob neue«.
Auch dank dieser Totalität ging es bei dem 36-Jährigen mit der Karriere ganz schnell. In den letzten Jahren hat er bei nahezu allen Spitzenorchestern seine Klasse und Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, so dass er durchaus auf einem prestigeträchtigen Chefposten vorstellbar wäre. So fällt sein Name inzwischen auch im Zusammenhang mit den Berliner Philharmonikern, die ab 2018 einen Nachfolger für Sir Simon Rattle brauchen.
Dass er bei der Kandidaten-Kür gelistet wird, nimmt Heras-Casado nicht routiniert geschmeichelt zur Kenntnis. Er fühlt sich ehrlich geehrt, das wird im Gespräch mit ihm deutlich. Gemessen an seinem Starstatus, ist er erstaunlich bescheiden. Auch wenn der im Granada geborene Dirigent sich auf dem Cover seiner aktuellen CD als sprunggewaltiger Luftikus präsentiert, empfindet er sich als traditionsbewusst und wahrt Bodenhaftung. Privat blieb er in seiner andalusischen Geburtsstadt. Einmal im Jahr nimmt er sich eine Auszeit, um wie zu Jugendzeiten den nahe gelegenen Mulhacen, Spaniens höchsten Berg, zu besteigen.
So sehr Heras-Casado sich in vertrauter Umgebung wohlfühlt, registriert er schmerzhaft Veränderungen, die die Finanzkrise in seiner Heimat ausgelöst hat. Die tiefen Einschnitte bei der Förderung von Wissenschaft, Kultur und speziell bei der Musik hält er für katastrophal, da man dadurch eine, wenn nicht zwei Künstler-Generationen verlieren werde. »Dabei haben wir dank der Musikschulen und Jugendorchester eine ausgezeichnet ausgebildete Generation gerade an Instrumentalisten.« Auch was die Neue Musik angeht, die in Spanien lange kaum eine Rolle spielte, habe sich eine frische, facettenreiche Szene gebildet.
Gewissen Anteil daran hat Pablo Heras-Casado. Während des Studiums der Kunstgeschichte gründete er mit der Capella Exaudi sein erstes Ensemble für Alte Musik, um vor allem spanische Renaissancemusik aufzuführen. Nachdem er gleichzeitig Anton Webern für sich entdeckte, stellte er mit »Sonóora« ein Team rein für Musik des 20. Jahrhunderts zusammen. Der Spagat zwischen beiden Gattungen und Perioden ist für ihn natürlich, »für mich so, als wenn jemand eine französische Mutter und einen deutschen Vater hat – man bewegt sich in zwei Kulturen, ohne es sich bewusst zu machen«.
Der selbstverständliche Umgang mit all den Kapiteln der Musikgeschichte spiegelt sich in einem verblüffend weiten Repertoire wider. Von Bach und Berio über Mozart, Mendelssohn und Messiaen bis zu Strawinsky und Stockhausen reicht die instrumentale Bandbreite. In der Oper dirigiert er Offenbach in Bordeaux, Donizetti in London oder John Adams in Kanada. 2010 stand er am Pult des Madrider Teatro Real und leitete mit Kurt Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« die Eröffnungspremiere der Intendanz von Gerard Mortier.
Dass der Modernisierer und Entdecker Mortier früh zu seinen Förderern gehörte, spricht auch für Heras-Casados Verständnis von der Oper als Abenteuerspielplatz. Von seinen Mentoren Pierre Boulez und Eötvös lernte er wiederum, sich als uneitler, sachkundiger Vermittler zwischen der Partitur und den Musikern zu sehen. Neben seinem Talent und dem in wenigen Meisterkursen erlernten Dirigierhandwerk gehört zu Heras-Casados Stärken seine Teamfähigkeit. Wenn er vor den Berliner Philharmonikern steht oder vor dem Klangforum Wien, den Kollegen begegnet er auf Augenhöhe. Auch mit dem Freiburger Barockorchester, den Breisgauer Originalklangmusikanten, entstand über diverse Projekte enge Freundschaft. Er bewundere das Orchester, das Maßstäbe in der historischen Aufführungspraxis gesetzt habe, so Heras-Casado.
Mit dem Orchester aus der Partnerstadt von Granada hat er jüngst eine CD mit den Schubert-Sinfonien Nr. 3 und 4 veröffentlicht, auf der bei allem Drive und Optimismus auf Schuberts ungemein moderne Zwischentöne geachtet wird. Dessen Komplexität, so Heras-Casado, spiegele »auch etwas von unserer ebenfalls komplexen Welt«.
Zeuge eines vergleichbaren Brückenschlags zwischen Romantik und Moderne kann man bei einem außergewöhnlichen Schumann-Programm sein, das in Köln gastiert. Selten hört man an einem Abend Schumanns Solo-Konzerte für Violine, Violoncello bzw. Klavier.
Pablo Heras-Casado, Freiburger Barockorchester, Isabelle Faust, Jean-Guihen Queyras, Alexander Melnikov; 13. April 2014, Philharmonie Köln; www.koelner-philharmonie.de