TEXT: GUIDO FISCHER
»Gelbsucht und innerer Brand«, so steht es auf dem Totenschein von Antonio Caldara. Am 28. Dezember 1736 war der Italiener in seiner Wahlheimat Wien im Alter von 66 Jahren verstorben. Doch heute noch wird gemutmaßt, dass die eigentliche Todesursache nicht »innerer Brand«, sondern Burn-Out gewesen sein könnte. Caldara soll schlicht an geistiger und körperlicher Erschöpfung gelitten haben. Übersetzt man seine unbändige Schöpferkraft in Zahlen, lässt sich ahnen, dass einem solchen Arbeitspensum Tribut gezollt werden muss.
Weit über 3000 Werke hat Caldara geschrieben. Damit gehört er, neben Georg Philipp Telemann, zu den produktivsten Komponisten der Musikgeschichte. Obwohl dem gebürtigen Venezianer im Akkord die 80 Opern, über 40 Oratorien und etwa 300 Kantaten nur so aus der Feder geflossen sein müssen, kam auch die Instrumentalmusik nicht nur kurz. Wie im Fall Telemanns stand auch Caldara sein Fleiß lange im Weg. Masse statt Klasse – so simpel fiel die bilanzierende Würdigung für einen Komponisten aus, der besonders als Wiener Vizekapellmeister zur Instanz im europäischen Musikleben wurde.
Dank der Experten im Alte Musik-Fach ist mittlerweile eine kleine Caldara-Renaissance zu vermelden. Der Funke seiner melodieseligen, dramatisch prägnanten wie virtuosen Musik sprang schon über auf die Sängerprominenz Cecilia Bartoli, Simone Kermes und Philippe Jaroussky. Mit ähnlichen Größen sind auch die Vokalpartien der neuesten »Zeitinsel« besetzt, mit der das Dortmunder Konzerthaus Caldara ein dreitägiges Konzertfestival widmet. So reihen sich die österreichische Sopranistin Anna Prohaska, die Altistin Nathalie Stutzmann und der zu Recht immer mehr ins Rampenlicht tretende Countertenor Franco Fagioli zur Riege, die der italienische Barockexperte und Dirigent Andrea Marcon zusammengestellt hat.
Gemeinsam mit dem La Cetra Barockorchester Basel, dem überwiegend Absolventen der Schola Cantorum Basiliensis und somit der schweizerischen Kaderschmiede für Alte Musik angehören, wirft Marcon einen exemplarischen Blick auf das Schaffen Caldaras. Der erste Abend steht im Zeichen ausgewählter Opern- und Oratorienarien. Beim Finale erklingt die moderne Uraufführung der Oper »La concordia di’ Pianeti«, mit der Caldara 1723 die Gattin von Karl VI. hochleben ließ. Sieben Jahre zuvor war er nach Wien gegangen, um zwei Jahrzehnte, bis zum Lebensende, für den musikalischen Kaiser den Großteil seiner Werke zu schreiben. Da mag es vielleicht zur Wiederbegegnung mit Antonio Vivaldi gekommen sein, der ebenfalls von Karl VI. gefördert wurde. Wie Caldara stammte der sieben Jahre jüngere Vivaldi aus Venedig. Bereits ihre Väter hatten gemeinsam in der Kapelle des Markusdoms musiziert. Ein musikalisches Treffen zwischen den Söhnen bietet sich daher im zweiten Konzert an. Für Vivaldis »Vier Jahreszeiten« hat Andrea Marcon den Barockgeiger Guiliano Carmignola eingeladen, mit dem er als Leiter des Venice Baroque Orchestras schon zahlreiche Barockkonzerte entdeckt und rehabilitiert hat. Bei den vom Cello dominierten Kammermusikwerken Caldaras übernimmt mit Nicolas Altstaedt einer der vielseitigsten Virtuosen auf der Kniegeige die Hauptrolle. Mit diesem Konzert erinnert man an die Wurzeln der Venezianer, die beide im Abstand von fünf Jahren in Wien sterben sollten. Und wie bei Caldara wurde 1741 nach dem Tod Vivaldis als Ursache notiert: »Innerer Brand«.
»Zeitinsel Caldara« mit Andrea Marcon, La Cetra Barockorchester Basel, Anna Prohaska, Franco Fagiolo, Nicolas Altstaedt u.a.; 16. bis 18. Januar 2014, Konzert-haus Dortmund. www.konzerthaus-dortmund.de