// Schuld wäscht sich so leicht nicht ab. Da braucht es mehr als das sonnabendliche Vollbad. Sieben Badewannen stehen im Breitwandformat von Robert Schweers Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Sieben ältere Herren, durch Pelzmützen am bloßen Leib als sozialistische Weltrevolutionäre ausgewiesen, singen schleppend für den Aufbau einer besseren Zukunft. Das Gesellschaftsmodell Argos jedoch, per Lautsprecherstimme wiederholt dargelegt am barbarischen Stammbaum seines Königshauses, muss zunächst Vergangenheit bewältigen. Das will nicht gelingen, macht uns Regisseur Lars-Ole Walburg weis, wenn am Ende seiner »Orestie« dem freigesprochenen Muttermörder Orest neuerlich ideologisch verseuchte Liedtexte ans Ohr dringen. Das System ist immer stärker. Scheitern indes tut auch diese Inszenierung. Sie nimmt sich aus wie die Karikatur von Regietheater und sucht in ihrer formalen Aufdringlichkeit, Großspurigkeit und intellektuellen Schlichtheit ihresgleichen.
Auf kurz oder lang, unsere Theater kommen um die griechische Tragödie nicht herum. Ob blutiger Schlachthof, Ethno-Kitsch oder Kolportage, ob ironische Brechung des hohen Tons an den trivialen Klangräumen unserer Daily Soaps, unerbittlicher Redemarathon oder politkritisch korrekte Amerika-Aburteilung, ob überlebensgroße Helden oder zu Neurosen-Kaspern geschrumpfte Figuren: Alles ist möglich. Besonders bei den Atriden, deren Familienbande erst der Olymp zu entwirren vermag. Der Dreiklang »Tun – Leiden – Lernen« ist die knappeste Lehrformel, auf die es das Drama des Aischylos bringt. Der Mensch steht in Abhängigkeitsverhältnissen, fremdbestimmt: einst von den Göttern Griechenlands, heutzutage durch die Einsicht, nicht Herr im eigenen Seelen-Haus oder bloß Schaltfunktion im biochemischen Prozess zu sein.
Orest, der vaterlose Sohn, hat den Mord an Agamemnon gerächt, der seinerseits für ein Vergehen getötet wurde. Dem griechischen Sieg über Troja opferte er als Feldherr die Tochter Iphigenie, was seine Gattin Klytämnestra ihm nicht verzieh. Bei seiner Rückkehr erschlug sie Agamemnon gemeinschaftlich mit dem Nebenbuhler Ägisth.
Vor einem Jahr hat Michael Thalheimer am Deutschen Theater Berlin den dritten Tragödien-Teil »Die Eumeniden« gestrichen. Die Überwindung der Blutrache, die Einsetzung eines Rechtssystems passte nichts Konzept. Bei Thalheimer darf sich nichts Gutes fügen. Anders noch als bei Peter Stein an der Schaubühne der 80er Jahre, der das bürgerliche Recht auf dem europäischen Forum durchaus für möglich erklärte.
Nun also Walburgs Arbeit am Mythos. Er formt weniger, als dass er performt. Argos wird maskiert als postsozialistisch realistischer Überwachungsstaat. Was weiter keine Konsequenzen hat, weil die archaischen Muster mit jaulendem Singsang und blutrünstiger Metzgerei ebenfalls nachwirken. Wobei nebenbei diese grob alber-
ne Sudelei eine Verhöhnung des Düsseldorfer Gosch-»Macbeth« darstellt. Dies nicht genug, ist die Aufführung überpudert von einem melodramatisch aufgemotzten, musikalisch und videotechnisch penetrant begleiteten Deko-Stil, in dem ohnehin keine Figur zur Kenntlichkeit gelangt. Der männliche Chor trägt Trümmerfrau-Kleider und intoniert scheppernd »Wir sind das Volk«; Klytämnestra kommt als pompöse Madame wie von der »Bambi«-Verleihung; Kassandra zuckt auf hohen Pumps (offenbar der aktuell-antike Sklavinnen-Chic); Elektra macht sich dadurch bemerkbar, dass sie gegen das Rauchverbot opponiert; Ägisth outet sich als Grabscher und fordert als böser Schleicher ein »Ministerium für Heimatschutz«; Orest sieht aus wie ein griechischer Schlagersänger, der zwischendurch mal eine Led Zeppelin-Nummer riskiert.
In Düsseldorf fällt der Schlussteil nicht untern Tisch. Vielmehr werden Tische für ein Pressekonferenz-Podium herangeschleppt. Wenn die Göttin Athene in ihrer Hauptstadt das Hohe Tribunal erfindet, organisiert Walburg das wie eine Medien-Demokratie-Veranstaltung mit der Zeus-Tochter in Moderatoren-Rolle (von Silvia Fenz schlicht und vornehm vorgetragen). Das Fernsehgericht tagt. All die weiteren fruchtlosen Regie-Einfälle aufzulisten, verbietet nicht nur die Ökonomie, sondern auch der Geschmack und die Einsicht in die Vergeblichkeit dieser Anstrengung. // AWI