Bei der PDS wurde es schon in den neunziger Jahren diskutiert; und ausgerechnet ein Unternehmer verhalf der Idee in Deutschland zu Popularität: Der Gründer der Drogeriemarktkette dm und Anthroposoph Götz Werner schaffte es, dass seit einem Jahrzehnt über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) diskutiert wird. Jeder Bürger soll 1000 Euro monatlich vom Staat bekommen, unabhängig davon, ob er auf Hilfe vom Gemeinwesen angewiesen ist oder nicht. Die Zahl variiert je nach Modell und liegt mal leicht über, mal leicht unter dieser runden Summe. Entfallen sollen im Gegenzug Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld oder Grundsicherung. Das für das BGE notwendige Geld könnte zusammenkommen, sei es durch Einsparung in der Sozialbürokratie, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, eine Maschinensteuer oder höhere Besteuerung auf die Nutzung natürlicher Ressourcen.
47 Prozent aller Jobs könnten verschwinden
Unterstützer findet das Projekt in Teilen der politischen Linken, aber auch etwa bei der Informationsindustrie: Marc Andreessen, Aufsichtsratsmitglied bei Facebook und Twitter-Investor, ist dafür, Tim Draper, Investor zahlreicher Tech-Unternehmen, auch. Viele im Silicon-Valley gehen davon aus, dass künftige technologische Entwicklungen vor allem im Bereich der Robotik und der Künstlichen Intelligenz einen großen Teil der Arbeitsplätze vernichten werden. Eine Studie der Universität Oxford errechnet, dass 47 Prozent aller Jobs in den nächsten 20 Jahren verschwinden könnten. Davon seien dann nicht nur manuelle, einfache Tätigkeiten betroffen; Banken, ebenso die Softwareindustrie würden den Schwund spüren. Google gelang es, eine Software zu entwickeln, die neue Programme schreibt. Auch Kreativität ist keine menschliche Domäne mehr.
Die Sorge, dass neue Technologien dazu führen würden, dem Menschen die Arbeit zu nehmen und ihn verarmen zu lassen, ist nicht neu. Sie begleitet die Industrialisierung seit ihren Anfängen. Die Ludditen, englische Textilarbeiter des frühen 19. Jahrhunderts, zerstörten Maschinen, weil sie sich vor Einkommens- und Statusverlust fürchteten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine Modernisierung der Landwirtschaft ein, die wie keine andere Welle an technischer Veränderung Arbeit raubte. Waren vor dem Umbruch noch zwei Drittel der Bevölkerung in der Branche beschäftigt, sind es heute deutlich unter zwei Prozent.
»Schöpferische Zerstörung«
In den späten 70er Jahren ging die Furcht vor dem »Jobkiller« Computer um, auch sie war nicht unbegründet; ganze Berufe brachen weg. Setzer, Stenotypisten etwa gibt es nicht mehr. Trotzdem sind heute 78 Prozent der Menschen von 20 bis 64 Jahren beschäftigt. 2005 waren es nur 69 Prozent. Andererseits, immer, wenn bislang Arbeitsplätze verloren gingen, entstanden andere. Oft auch in Bereichen, die sich Betroffene nicht vorstellen konnten. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter beschreibt dieses Phänomen als »schöpferische Zerstörung«. Altes geht unter, Neues entsteht.
Der Kölner Politikwissenschaftler und ehemalige Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Christoph Butterwegge, sieht in dem BGE nicht die Rettung, sondern ein Element zur Zerstörung des Wohlfahrstaates: »Das bedingungslose Grundeinkommen soll den Armen nützen, ist aber nach dem Lebensmodell eines reichen Müßiggängers konstruiert und funktioniert nach dem Gießkannenprinzip. Auf ungleiche Einkommens- und Vermögensverhältnisse würde mit einer Geldzahlung in gleicher Höhe reagiert, obwohl Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss, soll es gerecht zugehen.«
Wer gut verdient, kann sich über 1000 Euro extra freuen. Wer arm ist, bleibt es auch, wenn er statt Hartz IV ein Grundeinkommen bezieht, von dem sich kaum leben lässt. 1000 Euro, damit mag man in Herne noch gerade über die Runden kommen, in Düsseldorf, Köln, Frankfurt etc. nicht. Während Gewerkschafter und Intellektuelle wie Butterwegge, die nicht vergessen, dass es eine Arbeiterschicht und ein Subproletariat in prekären Verhältnissen gibt, das BGE eher skeptisch betrachten, ahnt die Autorin, die sich hinter dem Namen Paulette Gensler verbirgt, in dem Magazin Versorgerin, weshalb in bestimmten Milieus die Neigung dazu groß ist: »… nirgendwo dürfte die Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen ähnlich groß sein wie im reformpädagogisch, kreativwirtschaftenden Mittelstand, da man hier am ehesten ahnt, dass man etwas Ähnliches schon erhält – nämlich grundloses Einkommen.« Oft abseits der klassischen Wirtschaft haben sich nicht wenige in einer Mischform aus elterlichem Zuschuss, öffentlicher Subvention und gelegentlichen Aufträgen einen Status quo gebastelt, der durch dieses spezifische Grundeinkommen etwas weniger elendig erscheinen könnte.
Geld vom Staat?
Der Preis für ein BGE jedoch ist hoch – finanziell, gesellschaftlich und politisch. Warum Menschen, denen es auskömmlich oder exzellent geht, noch Geld vom Staat bekommen sollten, lässt sich schwerlich begründen. Warum sie ebenso viel zusätzlich bekommen wie die, die auf dieses Salär angewiesen sind, insgesamt erhalten, lässt sich keineswegs rechtfertigen.
Andere Modelle legen mehr Wert auf Fairness: Das vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman entwickelte Konzept der Negativen Einkommenssteuer ist ebenfalls unbürokratisch, sorgt jedoch dafür, dass Staats-Geld nur für diejenigen ausgegeben wird, die es brauchen. Das Prinzip ist einfach: Wer über einem gewissen Einkommen liegt, bezahlt Steuern; wer weniger verdient, erhält, je nach Höhe des eigenen Einkommens, eben dieses Geld. Abgewickelt werden können die Zahlungen übers Finanzamt. Bürger und Staat begegnen einander bei der Negativen Einkommenssteuer auf Augenhöhe – die Rolle von Empfänger und Zahler wechselt.
Das BGE macht hingegen alle Bürger zu Empfängern. Butterwegge sieht darin sogar ein Mittel zur sozialen Ausgrenzung: »Man kann die soziale Sicherung nicht von der Erwerbsarbeit entkoppeln, basiert Erstere doch auf Letzterer. Allenfalls können Teile der Bevölkerung leben, ohne zu arbeiten, aber nur so lange, wie das andere (für sie) tun und den erzeugten Reichtum mit ihnen teilen. Selbst wenn Erwerbslose durch ein Grundeinkommen materiell besser abgesichert wären, bliebe das Problem ihrer sozialen Ausgrenzung bestehen. Denn in einer Arbeitsgesellschaft hängen Lebenszufriedenheit, sozialer Status und Selbstwertgefühl an der Berufstätigkeit.« Wäre man da nicht in der Assoziationsnähe zum Almosen?