TEXT: ANDREJ KLAHN
Geteilte Einsamkeit verbindet, zumal auf einer Winterreisen durch ein tief verschneites Land: Zusammen mit Annina, die als Verkäuferin in einer Tankstelle jobbt, und dem handfest-breitschultrigen Kudowski macht sich Robert Richtung München auf. Sie fahren durch menschenleere Straßen und Städte, denn das Land befindet sich im Winterschlaf, was in Benjamin Leberts Roman »Im Winter dein Herz« buchstäblich verstanden werden muss. Bevor die unwirtliche Kälte über die Menschen hereinbricht, verabschieden sie sich für ein paar Wochen in die Hibernation. Roberts Müdigkeit hingegen ist keine künstliche; der junge, hochsensible Mann ist vom Leben erschöpft – doch er bleibt wach.
Obwohl das nach gegenwartsbewusster Science-Fiction klingt, weist der Zeiger in »Im Winter dein Herz« übergroß Richtung Vergangenheit. Die Erinnerung an glückliche Kindheitsstunden lastet auf den schmalen Schultern des schwermütigen Robert, der sich bis auf die Knochen heruntergehungert hat. Ein sensiblerer Schmerzensmann ist schwer vorstellbar, und unironischer und ungebrochener als Benjamin Lebert lässt sich kaum zu Werke gehen. Seit seinem autobiografisch grundierten, von Hans-Christian Schmid verfilmten Debüt-Jugendroman »Crazy«, das Lebert 1999 mit gerade mal 17 Jahren vorlegte, zählt der in Hamburg lebende Schriftsteller zum talentiertesten Nachwuchs in der Liga der hingebungsvoll Unglücklichen. Die Jugend geriet dem Melancholiker in »Crazy« zu einer langen blauen Stunde, und jetzt dürfte auch dem Letzten klar sein: Das war nur ein vergleichsweise heiteres Vorspiel zum traurigen Erwachsensein. Abhilfe schaffen Freundschaft und Liebe. Wer wollte daran zweifeln? Aber in seiner Einfachheit ist das ein bisschen schlicht, passagenweise intensiv wund – und leider auch schwer sentimental. | ANK
Benjamin Lebert: »Im Winter dein Herz«; Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 156 S., 18,99 Euro
Lesung am 1. August 2012 in der Buchhandlung Schmetz, Aachen, am 2. August 2012 im Zakk, Düsseldorf. www.literarischer-sommer.eu