Bernadette Fox’ Batterie läuft nie leer, seit die junge Architektin, damals noch in LA, den Genius-Award gewann und als Talent beinahe schon in einer Reihe steht mit Mies van der Rohe, Renzo Piano, Frank O. Gehry und Rem Koolhaas. Exzentrisch wie ihre Entwürfe und Materialien ist sie selbst. Den Menschen eine Art aparter Halloween-Schrecken. Aber, was soll’s, denn wie sie sagt: »Popularität ist überbewertet«. Soziophob, angstbesetzt, tablettensüchtig, neurotisch, hyperaktiv ist diese rastlose Bernadette. Ihre Nerven sind Fallstricke – für sie selbst und ihre Umgebung. Sie renoviert in Seattle, wohin die Familie aus Kalifornien gezogen ist, die eigene Villa, liegt überkreuz mit ihrer snobistischen Nachbarschaft, führt Audio-Telefonate mit der unsichtbaren Assistentin Manjula in Neu Delhi, die ihr lästige Erledigungen und Bestellungen abnimmt, bis das FBI erscheint und sich herausstellt, dass sich hinter dem ominösen Service-Dienst ein russisches Syndikat verbirgt, das alle persönlichen Daten der Fox’ gesammelt hat.
Bernadette büxt aus – ins Eis
Die Psychiatrie – in Gestalt von Dr. Kurtz (sie nennt die Ärztin Colonel Kurtz wie die Figur, die Brando in Coppolas »Apokalypse Now« spielt) – hat für Bernadettes Verhalten einen klinischen Begriff: »Anpassungsstörungen«. Und diagnostiziert, sie drifte ab, sei knapp davor, durchzudrehen, und »Nuts« zu sein. Sie soll für einige Wochen in die Anstalt Madrona Hill, während Ehemann Elgie (Billy Cudrup), ein Microsoft-Millionär, und Tochter Bee (Emma Nelson) in die Antarktis reisen, wie der Teenager es sich gewünscht hat. Aber Bernadette büxt aus und fährt schon mal vor – ins Eis. Zu den Walen, in die Stille, ins Kalte – to keep cool. Misses Fox bekommt das Gespür für Schnee, Seekrankheit hin oder her. Es ist die beste Therapie, um ihre destruktiv gewordene Energie umzupolen und zu verwandeln. Denn dort, auf Palmer Station am Südpol im ewigen Winter, tut sie, was sie kann und was ihr hilft. »People like you must create«, wie ein Freund aus Studientagen zu ihr sagt.
Cate Blanchett highlightet als visionäre Bernadette (wie ihre Namensschwester in Lourdes) noch ihre Rolle in Woody Allens »Blue Jasmine« und die vielen Rollen in »Manifesto« von Julian Rosefeldt. Richard Linklater hat mit »Bernadette« – zunächst im nervösen doku-fiktionalen Stil, später mit leicht spintisierender Wohlfühl-Dramatik – eine hinreißend ernste Komödie gedreht, so wie Billy Wilders »Das Apartment« eine ernste Komödie ist, die vom Leben erzählt, wie es ist – und wie es sein könnte. Sie spielt nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern im Konkreten.
»Bernadette«, Regie: Richard Linklater, USA 2019, 109 Min., Start: 21. November 2019