Harnstoff-Formaldehyd-Harz.
Klingt nicht besonders appetitlich, war aber äußerst
fortschrittlich, damals, im Jahr 1926. Anders als der Name es
suggeriert, war diese Art von Kunststoff geruchs- und
geschmacksneutral und eignete sich hervorragend zur Herstellung von
Küchengeschirr
aus Kunststoff, von zitronengelbem Salatbesteck und grünen
Stapeltassen. Beides hätte
man weder von der Form noch von der Farbigkeit her in einer
Ausstellung im Rahmen des Bauhaus-Jubiläums
erwartet, sondern eher im Design-Umfeld der 60er Jahre oder bei
historischen Trabant-Karosserien.
Das Plaste-Geschirr von 1935 ist derzeit Teil der Ausstellung »nützlich & schön – Produktdesign von 1920 bis 1940« im Oberhausener Peter-Behrens-Bau. Die Schau läuft zwar unter dem momentan allgegenwärtigen Bauhaus100-Etikett, verzichtet aber weitgehend auf die erneute Präsentation der üblichen Verdächtigen. Natürlich kann man, wenn es um das Produktdesign jener Jahre geht, nicht komplett darauf verzichten. Bei Marcel Breuers elegantem Stahlrohrsessel »Wassily« passt das dennoch gut, da die Ausstellung die »Materialexplosion« der 20er Jahre thematisiert, als man mit PVC, Plexiglas, Nylon, Perlon, Phenoplast, Bakelit und neuen Metallen völlig neue Werkstoffe entdeckte, die die industrielle Fertigung und die Lebenswelt der Menschen wesentlich verändern sollten. Im Bereich der Metalle sorgte die Essener Krupp AG bereits 1912 für Aufmerksamkeit, als sie den rostfreien Stahl »Nirosta« zum Patent anmeldete. Um 1928 betrieb Krupp eigens einen eleganten »Nirosta«-Showroom in Düsseldorf; die Olympischen Spiele in Berlin 1936 wurden zur Werbeveranstaltung für Edelstahl, da Krupp den Fackelhalter aus dem neuen, hochglänzenden »Nirosta V2A«-Metall stiftete. Technische Komponenten aus Aluminium ersetzten den schweren Grauguss beim Autobau und machten so den Opel »Laubfrosch« wesentlich leichter, genauso wie die Flugzeuge und Luftschiffe.
Pumps aus geschliffenem Acrylglas
Die
technische Entwicklung erreichte schnell den normalen Alltag, in
einer merkwürdigen
Mischung aus Reduktion und Extravaganz. Teller und Schüsseln
aus gefärbtem
und geschliffenem Pressglas ersetzten das verschnörkelte
Familienporzellan, der schnittige Staubsauger »Saugling«
aus Aluminium und Bakelit erinnerte an ein Raketentriebwerk und die
Damen von Welt trugen mit Celluloidpailetten-Charlestonkleider,
elegante Nylonstrümpfe
und Handtaschen mit Kunststoffgriffen. Nach dem Ersten Weltkrieg
landete die Firma Sanitas mit dem handlichen Haartrockner »Fön«
einen großen
Erfolg. Das Gerät
aus Kunststoff, das seinen Namen vom brausend-warmen Alpenwind hatte,
wurde auch als »Luftdusche«
beworben und richtete sich an die berufstätige
Frau der 20er Jahre, die keine Zeit mehr für
komplexe Hochsteckfrisuren hatte und stattdessen ihre Haare modisch
und praktisch kurz trug.
Was
beim Baden noch züchtig
war, wurde abends beim Tanz elegant. Der einteilige Strandanzug mit
ausgestellten Hosenbeinen der 1930er
und 1940er Jahre wurde aus Waschseide, einer Mischung aus Baumwolle
und Kunstseide, gefertigt. Hochgeschlossen, aber gleichzeitig
klassisch und zeitlos geschnitten. Damen, die sich in Tanzlokalen wie
dem legendären
»Moka
Efti«
in
Berlin amüsieren
wollten, griffen zu Schuhen, die auch in Oberhausen zu sehen sind: Zu
äußerst
mondänen
und extravaganten Pumps mit transparenten Absätzen
–
aus
geschliffenem Acrylglas!
»nützlich & schön – Produktdesign von 1920 bis 1940«
LVR Industriemuseum Oberhausen / Peter-Behrens-Bau
Bis 23. Februar 2020