TEXT: ANDREAS WILINK
Am 15. Tag des Monats Martius im römischen Kalender des Jahres 44 vor Christus wurde Gaius Julius Caesar ermordet. Offenbar sind die Iden des März kein Begriff mehr. Ansonsten gäbe es keinen Grund, den Originaltitel in banale »Tage des Verrats« umzutaufen und einzudeutschen. Die politische Aussagekraft ist damit futsch. Zwar fließt kein Blut, auch geschieht kein Mord, doch das, was im Vorwahlkampf von Ohio um das Weiße Haus abläuft, ist nicht weniger gefährlich messerscharf, vielleicht sind die Intrigen und Methoden sogar ärger – komplexer, vernetzter, medial manipulierbar.
Er sei Verfassungspatriot, sagt der junge Mann in den leeren Raum: Das Statement ist eine Tonprobe des Medienberaters Stephen Meyers für seinen Kandidaten, Gouverneur Mike Morris, der später vor dem Mikrofon sprechen wird – und die gleichen Parolen verkündet. George Clooneys eleganter, die Spannung konzentriert steigernder Film arbeitet mit mehreren solcher symbolisch zu begreifenden Szenen. Einmal steht Meyers, dessen mühelose Leichtigkeit und angewandte Intelligenz Ryan Gosling fabelhaft verkörpert, nur als Schattenriss vor den Farben der US-Flagge und hinterlässt auf den rot-weißen Streifen einen dunklen Fleck. Oder als seinem Boss, dem Wahlkampfleiter Paul Zara (Philip Seymour Hoffman), zwangsweise von Morris gekündigt wird, geschieht dies außerhalb unserer Augen und Ohren in einer geschlossenen schwarzen Limousine, auf die sich die Kamera langsam zu bewegt, bis Zara nach erhaltener Botschaft aussteigt. Am Ende dann wird der Zuschauer mit der Großaufnahme von Meyers/Gosling entlassen, dessen Gesichtsausdruck hart, kalt und bewegungslos wie das Monument von Mount Rushmore geworden ist. Er hat die Lektion in Machterwerb und -erhalt gelernt und dabei seine Integrität, seine Unschuld, seine Ideale verloren und verraten.
Morris (Clooney) ist der fast zu perfekte Kandidat, dekoriert im ersten Golfkrieg, in Opposition zum zweiten Golfkrieg, smart, sozial engagiert, ohne christlich fundamentalistischen Impetus – eine Lichtgestalt, geklont aus JFK, Clinton und Obama. Innerhalb der Demokratischen Partei muss er sich noch gegen einen Mitbewerber durchsetzen, der sich bereits eines wichtigen Unterstützers versichert und diesem Senator ein Ministeramt versprochen hat. Meyers macht einen Fehler, gerät zwischen die Fronten, wird ausgetrickst, weil seine Eitelkeit ihn vertrauensselig macht, deckt eine Schwachstelle in Morris’ Privatleben auf, womit der Kandidat erpressbar würde, und lernt, für sich selbst Win-Win-Situationen zu schaffen. Nur eine Regel ignoriert er: dass Loyalität die »einzig gültige Währung« ist. Ein Wert an sich. Die eiserne Reserve.
»The Ides of March – Tage des Verrats«; Regie: George Clooney; Darsteller: Ryan Gosling, George Clooney, Philip Seymour Hoffman, Marisa Tomei, Paul Giamatti, Jeffrey Wright, Evan Rachel Wood; USA 2011; 100 Min.; Start: 22. Dez. 2011.