TEXT: GUIDO FISCHER
Im November 2006 wurde der ehrwürdige Wiener Musikverein gnadenlos auf seine Fundamente abgeklopft. Nonstop, vier Stunden lang. Vor Ort war aber nicht etwa der österreichische TÜV, sondern der gebürtige Salzburger Martin Grubinger. Rund 200 Schlaginstrumente hatte er auf dem Konzertpodium ausgebreitet: von der schlanken Triangel über dickbäuchige Pauken bis zu asiatischen Gongs und afrikanischen Kistentrommeln. Doch weil noch ein Plätzchen für ein ausgewachsenes Orchester frei war, konnte Grubinger nebenbei zwei Konzerte aus der Taufe heben, die ihm exklusiv für seine unglaublich schnellen Krakenarme komponiert worden waren.
Einen Percussion Showdown hatte Grubinger angekündigt. Mit seiner kinetischen Schlagkraft und einem aberwitzigen Rhythmusgefühl machte er dieser Annonce alle Ehre. Das Konzert schlug ein wie eine Bombe – und wurde zum Sprungbrett für den Jungstar. Der damals 23-Jährige rehabilitierte mit seinem famosen und furiosen Auftritt auch den Berufsstand des klassischen Solo-Schlagzeugers. Denn, wie er sich verwundert, »natürlich sind immer noch einige der Meinung, dass wir Schlagzeuger nichts als Solisten auf den Konzertpodien verloren haben«.
Diese Nörgler verstummen jedoch mehr und mehr mit jedem seiner 80 Auftritte, die Grubinger inzwischen pro Jahr gibt. Gru-binger-Konzerte sind mehr als bloß akustische Ereignisse. Wenn er etwa den komplexesten Partituren der Neuen Musik ihren archaischen Puls fühlt, macht er das auch visuell atemberaubend deutlich und geht damit bis an die physische Belastbarkeit. Verknotet schon mal sechs Schlägel zwischen den fünf Fingern jeder Hand, um auf seinem Lieblingsinstrument, dem Marimbaphon, virtuos Haken zu schlagen. Oder lässt bei seinem obligatorischen Zugabe-Stück »Planet Rudiment« mit nur zwei Sticks um die 1.000 Beats pro Minute auf die Snare-Drum runterprasseln. Da versteht dann wohl jeder, warum Schlagzeugspielen für Grubinger Hochleistungssport ist.
Was das Timing von Bewegungsabläufen, Tempo, Kraft und Kondition betreffen, ist der Sohn eines Schlagzeugers und Musikdozenten topfit, der als Jugendlicher mehrfach an internationa-len Wettbewerben teilnahm, am Bruckner-Konservatorium in Linz und am Mozarteum ausgebildet und u.a. mit dem Bernstein Award des Schleswig-Holstein-Festivals ausgezeichnet wurde. Er arbeitet mit Sportmedizinern zusammen, die ihm Trainingspläne aufstellen und seine Blutwerte messen. So professionell er seinen Körper auf perkussive Marathonsitzungen vorbereitet, so akribisch nimmt er sich jedes neue Stück vor. Vor allem, wenn es dabei um das rasant schwere Schlagzeug-Konzert geht, das Grubinger in Aachen mit dem dortigen Sinfonieorchester unter Marcus R. Bosch spielen wird. Im Schneckentempo (40 Takte pro Woche) studierte Grubinger Avner Dormans »Frozen in Time« ein, bis er es verinnerlicht hatte. Das Konzert mit seinen afrikanischen Rhythmen, asiatischen Klangfarben und indischen Einflüssen ist mehr als nur eine musikalische Reise zurück zu den Wurzeln des Schlagzeugs, sondern für den Interpreten gleichzeitig »ein Statement für Humanismus und Toleranz«. Trommeln als gesellschafts-politischer Akt, das mag blauäugig gedacht sein, sorgt jedenfalls außerhalb des Konzertbetriebs für Schlagzeilen. Ähnlich wie Anfang 2010, als Grubinger vorerst alle Auftritte in Kärnten absagte, um so gegen die rechts-gerichtete FPÖ zu protestieren.
Dass der engagierte und charmante Grubinger mit dem Buben-Appeal ein Verfechter des totgesagten Multikurellen ist, lässt sich an seinen Programmen ablesen. Bei seinem Essener Konzert wird er den Bogen vom Griechen Iannis Xenakis bis nach Japan spannen. Zu Beginn, bei der Hochgeschwindigkeitsachterbahn »The Wave« von Keiko Abe, weiß man direkt, warum Martin Grubinger solche Thrills braucht. »Sich auf dem Konzertpodium am Limit des Machbaren zu bewegen, ist viel auf-regender als jeder Bungee-Jump oder Fall-schirmsprung«, findet er.
Martin Grubinger & Friends: 6. Dezember, Philharmonie Essen, www.philharmonie-essen.de; 15. und 16. Dezember, Eurogress Aachen; www.theater-aachen.de