TEXT: REGINE MÜLLER
Christof Loy, früher Stammgast an der Rheinoper mit 16 Inszenierungen, hat sich als Poet in der Königsklasse des Musiktheaters etabliert und wurde dreimal zum »Regisseur des Jahres« gekürt. Am Aalto-Theater ist seine Deutung von Vincenzo Bellinis »La Straniera« zu erleben, wobei die Aufführung bereits im vergangenen Juni an der koproduzierenden Oper Zürich herauskam: mit Edita Gruberova in der Titelpartie. In Essen sind alle Rollen neu besetzt; wer Loys Arbeitsweise kennt, weiß, dass deshalb doch wieder eine ganz neue Produktion zu sehen ist.
Bellinis Perle des Belcanto hat besondere musikalische Qualitäten, die Glaubwürdigkeits-Defizite im Szenischen wettmachen. Die Handlung fußt auf einer mittelalterlichen, romantisch überhöhten Geschichte, in der sich Verwicklungen um eine als Hexe verkannte Königin derart verknäulen, dass man nicht recht schlau daraus wird. Annette Kurz verlegt die verwunschene Land-Szenerie in einen Theaterraum, in dem vom Schnürboden Nornen-Seile baumeln; Ursula Renzenbrink hat luxuriöse Krinolinen-Kleider geschneidert. Loy markiert bewusst die Künstlichkeit der Bühnen-Situation, um aus der verwirrenden Geschichte einen schwarz grundierten Psychothriller zu machen, in dem Gefühlswallungen vergrößernd heran zoomen. Das gelingt mit größter Eleganz, mit einem Händchen für die Persönlichkeiten der Interpreten und feinsinniger, musikalisch motivierter Delikatesse.
»La Straniera« ist (anders als die ungleich populärere »Norma« mit ihren bekannten Hits) nahezu durchkomponiert ohne die üblichen Arien-Höhepunkte; dafür frappiert ein Reichtum orchestraler Farben; die Gesangslinien betäuben mit einem Aroma schwerer Süße. Der neue Intendant Hein Mulders kann ein famoses Sängerensemble formieren, an dessen Spitze die hinreißende Marlis Petersen strahlt. Ihr kräftiger Sopran hat seit ihren Düsseldorfer Zeiten deutlich an Gewicht gewonnen, ohne an Beweglichkeit zu verlieren. Die Ausnahme-Sängerin ist gereift und vereint darstellerischen Ausdruck mit stimmlicher Finesse in seltener Perfektion. Luca Grassi ist ein kerniger Valdeburgo, Alexey Sayapins weich klingender Arturo fast zu lyrisch timbriert, während Ieva Prudnikovaites als Isoletta mit schlankem Mezzo glänzt. Josep Caballé Domenechs Dirigat sorgt für gestochene Klarheit und Präzision.