Hoch oder niedrig, klar oder verwinkelt, große oder kleine Fenster: Die Visualisierung in der Architektur und Stadtplanung ist weit vorangeschritten in den letzten Jahrzehnten. Sogar Laien können zukünftige Gebäude beurteilen. Aber was ist mit dem Klang? Wie hört sich das neue Stadtviertel an? Was hört man auf dem Balkon des noch zu bauenden Hauses? Josep Llorca Bofí forscht, um Architektenpläne in Geräusche umzusetzen.
kultur.west: Was ist der Kern Ihrer Forschungsarbeit?
LLORCA BOFÍ: Geräusche sind ein Problem in der Stadt, es gibt aber kaum Möglichkeiten, sie in die Planung einzubeziehen. Unsere Idee war, dass wir wissen wollen, wie die Leute auf Architekturentwürfe reagieren und wie wir die Entwürfe dann modifizieren können. Wir möchten Methoden etablieren, hörbar zu machen, wie die zukünftige Stadt klingt.
kultur.west: Wie habe ich mir das vorzustellen? Sitzen Architekten dann mit dem Kopfhörer vor dem Rendering und können hören, was sie später auf einer Bank vor dem Gebäude hören werden?
LLORCA BOFÍ: Genau! Für Innenräume, also Konzertsäle, macht man diese Simulationen schon lange. Man platziert einen Empfänger und einen Sender an verschiedenen Orten und dann kann man hören, wie es dort klingt, wenn man die Wand höher macht oder weiter weg schiebt. So kann man den Entwurf verbessern. Aber draußen ist es ein bisschen komplizierter, weil sich vieles bewegt. Im Konzertsaal gibt es keinen Wind, Luftfeuchtigkeit und Temperatur sind konstant. Draußen variiert das. Wir haben zwar auch Algorithmen, um Wind und Atmosphäre einzuberechnen, aber das sind nur Zahlen. Am Ende wollen Architekten hören, wie ein Flugzeug, ein Auto oder Leute vom Nutzerstandpunkt aus klingen, abhängig von der Umgebung. Unsere Forschungsgruppe hat also ein Modell entwickelt, in dem man sehen und hören kann. Man kann mit VR-Brille und Kopfhörer in den Entwurf gehen und hören, wie es dort klingt.
kultur.west: Welche Faktoren haben einen Einfluss auf den Klang einer Umgebung?
LLORCA BOFÍ: Von der akustischen Seite teilen wir es in drei Bereiche: Die Quellen der Geräusche – das kann eine Person sein, ein Auto, ein Flugzeug oder ein Vogel. Der zweite Bereich ist die Verbreitung, also wie die Quelle in den Raum transportiert wird. Das ist geometriebasiert und materialbasiert. Der letzte Punkt ist der Empfänger. Wir haben also die Quelle und den Empfänger und dazwischen ist die Architektur. Die kann der Architekt – im Gegensatz zur Quelle – beeinflussen. Wir können die Umgebung entwerfen, ausprobieren welche Höhe oder Form der Baukörper haben muss, ob es Balkone gibt oder nicht. Gibt es einen Platz? Oder Kolonnaden im Erdgeschoss? Sehen wir die Straße oder hören wir sie nur? Woraus sind die Wände? Es sind immer unterschiedliche Situationen. Die Vermittlung variiert mit dem Material, mit atmosphärischen Bedingungen und mit der Geometrie.
kultur.west: Die Quelle können Architekten nicht beeinflussen, die Vermittlung schon, aber was ist mit dem Empfänger?
LLORCA BOFÍ: Geräusche sind schwierig zu evaluieren und die Probleme nutzerabhängig. Für Stadtplaner ist deshalb wichtig zu wissen, wer später die Nutzer sein werden und wie sie in der Stadt reagieren. Manche Leute haben Probleme mit spezifischen Geräuschen. Auch die Zeit ist wichtig. Manche haben zum Beispiel nur nachts Probleme mit Geräuschen. Das ist alles sehr variabel. In den letzten Jahren gab es viele Forschungen in urbanen Situationen. Dabei hat man aber nur Befragungen in situ durchgeführt. Sie bezogen sich auf einen Moment unter bestimmten Konditionen – im nächsten Moment kann es schon wieder anders sein. So können die Ergebnisse nicht für die Planung verwendet werden. Wir haben mit unseren Simulationssystemen eine Online-Plattform etabliert, mit der wir dieselbe Lab-Situation überall reproduzieren können. Der nächste Schritt wird sein, Menschen unterschiedlicher Herkunft – Leute aus Deutschland und Leute aus Spanien – in demselben Szenario zu evaluieren. Wir werden jeweils Befragungen durchführen, um objektivierbare Ergebnisse über eventuell störende Geräuschsituationen zu bekommen und herauszufinden, welche Entwurfsstrategien wichtig sind für unterschiedliche Nutzer.
kultur.west: Das ist die Wahrnehmungsforschung, deren Ergebnisse später dann in ein Entwurfs-Tool einfließen können. Soll es eine Möglichkeit geben, Geräusche in einem normalen CAD-Programm für Architekten hörbar zu machen?
LLORCA BOFÍ: Unser Hauptziel ist zunächst die Forschung. Wir arbeiten derzeit mit einer Virtual-Reality-Anwendung, weil wir so Nutzer in unserem Labor befragen und einen Mittelwert aus den Ergebnissen bilden können. Aber für Architekten brauchen wir eine einfache Version, mit der sie planen können, das ist auch ein Ziel der Forschung. Wir wissen aber noch nicht, wie die Version aussehen wird.
kultur.west: Warum halten Sie es für wichtig, dass sich Architekten in ihrem kreativen Entwurfsprozess auch mit den Umgebungsgeräuschen auseinandersetzen?
LLORCA BOFÍ: Architektur ist zwar eine Kunst, aber sehr real, nicht so flüchtig wie zum Beispiel die Musik. Architektur bleibt für 100 oder 200 Jahre – das hat Konsequenzen auch für den Entwurfsprozess. Wir planen für Menschen. Am Ende dient die Kreativität von Architekten und Stadtplanern den Leuten, die in Zukunft in der Stadt leben.
Josep Llorca Bofí
ist Junior Principal Investigator am Institut für Hörtechnik und Akustik der RWTH Aachen. Nach einer Ausbildung zum Pianisten studierte der 30-jährige Spanier in Barcelona Architektur und kam im letzten Jahr seiner Dissertation über Akustik nach Aachen. Seit 2021 leitet er das auf fünf Jahre angelegte Forschungsprojekt »Personenfokussierte Analyse des Architekturentwurfs« der DFG und der RWTH.