TEXT: ANDREJ KLAHN
Hier ist es schön. Was aber ist zu sehen? Von rechts schäumt so etwas wie eine große Welle in das Bild hinein und überflutet den ockerfarbenen Boden. Aufgenommen wurde diese Landschaft aus dem Weltraum, vielleicht an einem heißen Sommertag, der die Küste ausgedörrt hat; allein dort, wo das Wasser vordringt, leuchtet ein giftig blau-grauer Streifen. Oder zeigt dieses Bild etwa ein Gebirge, die Wellenkronen ein Höhenkamm, dessen Ostseite der Schnee bis oben hoch bedeckt. Eine Winterszene von lebendfeindlicher Kälte, merkwürdig unwirklich, dem ersten Blick dennoch vertraut. Egal, was wir zu erkennen meinen – diese Landschaft ist nicht von dieser Welt: »ma.r.s. 10«, so lautet der Titel des Werks, das aus der Mars-Serie Thomas Ruffs stammt. Das Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Münster hat sie zusammen mit weiteren astronomischen Bildern aus vier Serien des Becher-Schülers zur Ausstellung »Stellar Landscapes« vereint.
Ruffs Interesse für die Sterne lässt sich in die Jugend des 1958 Geborenen zurückdatieren. Das erste Teleskop erstand Ruff mit 14 in einem Kaufhaus, fünf Jahre später sah er sich eigenen Angaben nach mit der Entscheidung konfrontiert, Astronomie oder künstlerische Fotografie zu studieren. 1989, in dem Jahr, als George W. Bush Senior vollmundig bemannte Flüge zum Mars ankündigt, sind beide Disziplinen dann in der Serie »Sterne« zusammengekommen. Da ist Thomas Ruff mit seiner Werkgruppe »Sterne« in den Weltraum aufgebrochen, um Licht von Himmelskörpern einzufangen, die unvorstellbar weit von der Erde entfernt und teils schon lange erloschen sind. Da die Reichweite von handelsüblichen Hobby-Teleskopen recht begrenzt ist, hat Ruff bei der Europäischen Sternenwarte Aufnahmen des südlichen Nachthimmels über den chilenischen Anden erstanden. Er wählte daraus hochformatige Ausschnitte und vergrößerte sie. Mit romantischer Sachlichkeit überführte Ruff so die unendliche Weite des »gestirnten Himmels über uns« in die Zweidimensionalität, fertigte Bilder, auf denen das Erhabene seinen Fingerabdruck hinterließ.
Ende der 1980er Jahre war das ein kleiner Schritt für den Astronomieliebhaber, ein großer aber für den Kunstfotografen. Ruff hatte sich gerade durch seine distanziert kühl wirkenden Portraits international bekannt gemacht, um dem Publikum nun Fotos zu präsentieren, die er zwar bearbeitet, nicht aber selbst aufgenommen hatte. Bei den Bechers hatte er gelernt, sich als Autorenfotograf zu begreifen. Dass dies auch möglich ist, ohne den Auslöser zu betätigen, sollte Ruff nach der Serie »Sterne« immer wieder zeigen. Ihn interessiere nicht das Abbild der Wirklichkeit, sondern das Bild, so hat Ruff wiederholt zu Protokoll gegeben.
In ausnahmslos allen Werken, die in der Ausstellung »Stellar Landscapes« zu sehen sind, hat Ruff auf vorgefundene Fotos zurückgegriffen und sie auf sehr unterschiedliche Weise digital bearbeitet. Die wohl beeindruckendste der Astro-Werkgruppen ist die »ma.r.s.« betitelte. Ihr liegen frei zugängliche, senkrecht und aus großer Entfernung aufgenommene Schwarzweiß-Bilder von NASA-Missionen zugrunde. Ruff hat diese Aufnahmen zunächst gestaucht, um die Perspektive derart zu verändern, dass der Betrachter meint, auf den Planeten wie im Landeanflug zu schauen. Zudem hat er die Mars-Ausschnitte phantastisch suggestiv koloriert. Auf einer Hügelgruppe scheint sich ein schwarzer Schimmelpilzteppich auszubreiten, andernorts ist der Mars von rotem Ausschlag befallen oder die Kraterlandschaft von stahlgrauer Porosität.
Nichts gibt Aufschluss über Größe und Beschaffenheit dieser fein strukturierten Landschaften, deren Aufnahmen in extremer Hochauflösung zur Erde geschickt werden.
Nicht zuletzt in der Spannung zwischen diesem Detailreichtum und der irritierenden Informationsarmut besteht der Reiz dieser Serie. Wir kennen nicht, was wir da sehen, doch es kommt uns bekannt vor. Die Frage, was genau und wie es auf uns wirkt, wenn wir auf diese riesenhaften Bilder schauen, ist in ihrer Betrachtung geradezu zwingend angelegt.
Thomas Ruff: »Stellar Landscapes«. Bis zum 8. Januar 2012 im LWL-Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Tel.: 0251 5907-01. www.lwl.org/LWL/Kultur/LWL-Landesmuseum-Muenster