Sein Flugticket nach Katar hat er bereits gekauft. Dort beginnt im November die 22. Fußball-WM. Die nächsten Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris stehen auf seiner To-Do-Liste. Und, natürlich, die Fußball-Bundesliga. Schließlich feiert er im kommenden Jahr ein Jubiläum: 50 Jahre deutschen Spitzenfußball hat er dann mit der Kamera begleitet. Denn Laci Perényi zählt zu den renommiertesten Sportfotografen – nicht nur in Deutschland.
Das Besondere: Perényi, 1955 im slowakischen Bratislava geboren, mit den Eltern nach Düsseldorf gekommen und heute in Meerbusch lebend, war selbst Leistungssportler, bevor er den Beruf des Fotografen ergriff. Der Schwimmer (Spezialität: Rückenschwimmen) gehörte sogar der Deutschen Schwimm-Nationalmannschaft an. 1980, als Deutschland die Olympischen Spiele in Moskau wegen des Einmarschs sowjetischer Truppen in Afghanistan boykottierte, zog er allerdings anlässlich der temporären Zwangspause einen Schlussstrich unter seine Karriere. Dem Profisport jedoch blieb er verbunden – der agile Perényi, der schon 1974 ein Volontariat bei einer Sportfoto-Agentur absolviert hatte, machte aus dem Hobby einen Beruf. Bei ihm, der bis heute für den Sport brennt und mit etlichen Sportler*innen befreundet ist, darf man von einer Berufung sprechen. Der Geheimnis seines Erfolgs? »Der Sportfotograf muss versuchen, eins zu werden mit der Sportart genauso wie mit dem Athleten. Er muss vertraut sein mit seinen Bewegungsabläufen. Er benötigt, ebenso wie der Athlet, ein gewisses Maß an Ausdauer und sportlicher Fitness.«
Ein Ex-Leistungsschwimmer, der auch als Fotograf mit allen Wassern gewaschen ist. Kein Zweifel, dass sich dieser Perspektivwechsel als gute Entscheidung entpuppt hat: Als Sportfotograf, mehrfach ausgezeichnet, unter anderem zweimal als Urheber des »Sportfoto des Jahres«, konnte Laci Perényi den Ruhm, den er als Schwimmer erlangt hat, übertrumpfen. Heute gleicht das Portfolio des Freiberuflers einem nahezu enzyklopädischen Katalog der Sportarten: BMX Rad, Eiskunstlaufen, Fechten, Formel 1, Fußball, Kajak, Leichtathletik, Radfahren, Schwimmen, Skispringen, Snowboard, Tennis, Turnen, Turmspringen… Mehr als eine halbe Million Bilder umfasst sein Archiv. 19 Olympische Spiele, zehn Fußball-Weltmeisterschaften und unzählige andere Wettbewerbe sind hier dokumentiert. More to come. Denn sein Hunger nach Bildern ist längst nicht gestillt: »Das ist die Faszination der Sportfotografie, dass jeder Event, jede Sportart anders ist, die Sportler über die Jahre immer wieder durch neue ersetzt werden«, sagt der Bildjournalist. »Jeder ist ganz anders in seiner Bewegung – ein Kreislauf des nie Wiederholbaren. So entstehen Unikate meiner Sportfotografie.«
Mieses Image des Instant-Bildes
Seine Aufnahmen wurden bei Ausstellungen im Deutschen Sport- und Olympia-Museum Köln, der Düsseldorfer Galerie Conzen oder der Berliner Akademie der Künste als Blow-Ups präsentiert. Mehr als zwei Meter breit, gerahmt und auf Hochglanzpapier gedruckt. Dass Perényi als individuelle Künstlerpersönlichkeit ernstgenommen wird, ist freilich alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zwar hat die Fotografie als bildnerische Disziplin seit dem Durchbruch der sogenannten Düsseldorfer Fotoschule von Bernd und Hilla Becher in den späten 1970er-Jahren Aufnahme in den Olymp der Hochkünste gefunden; für die Sportfotografie allerdings scheint das nicht zu gelten. Nach wie vor hängt ihr das miese Image des Instant-Bildes an: Schnell schießen, schnell anschauen, schnell vergessen. Perényi ärgert das. Denn seine besten Fotos von Wettkämpfen, die er als eigene Edition unter dem Label »LP Sportsart« vertreibt, halten dem Vergleich mit Fotokunst (was immer das sei) allemal stand.
Nehmen wir ein Bild wie »Boxenstopp«. Eine vor Dynamik berstende Aufnahme, die der Fotograf bei einem Formel-1-Rennen aus der Vogelperspektive und aus beachtlicher Entfernung gemacht hat. Zum Einsatz kam dabei seine ‚Lieblingswaffe‘, ein Teleobjektiv mit extrem langer Brennweite (600 mm); dabei werden die Bildgegenstände derart herangezoomt, als sei man hautnah dabei. Der Rennwagen im Zentrum und die Mechaniker, die in Windeseile neue Reifen montieren, sie scheinen wie von einer Zentrifugalkraft erfasst, die alle gegenständlichen Details in abstrakte Partikel verwirbelt. »Die stimmungsvolle Darstellung von flüchtigen Momentaufnahmen einer Szenerie«, so charakterisiert Wikipedia den Impressionismus. Auf Perényis »Boxenstopp« passt die Definition eins zu eins.
Warum erzielen Abzüge von Andreas Gurskys motivverwandtem »Boxenstopp« bei Auktionen Preise in Millionenhöhe, während der Perényi-»Boxenstopp« als großformatige Edition nur wenige tausend Euro einbringt? Abgesehen von den formalen Unterschieden (bei Gursky geht es ums Einfrieren der Szene, bei Perényi um deren Beschleunigung), lässt sich das extreme Preisgefälle allemal durch die mysteriösen Spielregeln des Kunstmarkts erklären. Eine dieser Regeln besagt, dass es nicht so wichtig ist, was einer macht; vielmehr kommt es darauf an, wer es macht. Keine neue Erkenntnis: Die (Kunst-)Welt ist nicht gerecht.
Andernfalls würde sie Laci Perényis Aufnahme einer Sprinterin bei den Olympischen Spielen in London (2012) mehr Wertschätzung entgegenbringen. Ein meisterhafter Schnappschuss, der im Gedächtnis haften bleibt. Der Fotograf, immer auf der Suche nach der extravaganten Kameraposition, hatte sich im Stadion hinter dem Olympischen Feuer in Stellung gebracht, um den 400-Meter-Lauf festzuhalten. Auf seinem Foto wirkt es, als züngelten die Flammen an den Waden der Sprinterin herauf. Deren Silhouette und die weißen Markierungslinien der Tartanbahn werden durch die flirrend heiße Luft verformt.
Eine magische Momentaufnahme, von der gewiss viele glauben, die spektakulären Effekte seien mit Photoshop erzielt, allemal verstärkt worden. Doch das ist nicht der Fall. Bildbearbeitung und inszenierte Fotografie sind für ihn tabu – abgesehen von moderaten Korrekturen bei den Dunkel- und Helligkeitswerten. Auch das nachträgliche ‚Beschneiden‘ eines Bildes am Computer kommt für Perényi nicht in Betracht. Die formatfüllenden Motive, die er mit seinen Digitalkameras und den mächtigen Objektiven einfängt, werden eins zu eins in Zeitungen, Magazinen und im Internet veröffentlicht.
Auf der Suche nach außergewöhnlichen Perspektiven
Untypisch für das hektische Gewerbe der Sportfotografie, erlaubt sich Laci Perényi den Luxus, sich Zeit zu nehmen. Dem Foto, das in Sekundenbruchteilen erstellt wird, geht sorgfältige Planung voraus. Schon Stunden vor dem Wettkampf erkundet Perényi das Terrain, um Ideen für originelle Bilder zu entwickeln. Die Zone des Fotofinish, wo sich die Reporter ballen, meidet er: »Die reine Berichterstattung über einen Event habe ich seit Jahren verlassen. Das olympische Finale, der Zieleinlauf über 100 Meter, hat schon lange nicht mehr den Stellenwert für mich, da ich immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Perspektiven bin.«
Ebenso wichtig wie die Wahl des Standorts und des richtigen Augenblicks ist für ihn das Licht. Trübt sich der Himmel ein, kann es vorkommen, dass er den Schauplatz ohne fotografische Ausbeute verlässt. »Da ich das Licht, die Sonne als den wichtigsten Bestandteil meiner Fotografie betrachte und ich mit dem Licht beim Fotografieren spielen kann, im Besonderem mit dem Abendlicht, werde ich von manchen Kollegen als Sonnenfotograf bezeichnet«, sagt er. Das mag despektierlich klingen, hat aber auch etwas Majestätisches. Respekt kommt darin zum Ausdruck. Respekt dafür, dass da einer aus der Reihe tanzt, weil er es auf das Sportfoto mit dem gewissen Etwas abgesehen hat. Auf das Bild, das den Tag überdauert. Ein Privileg, das sich nur ein freiberuflicher Sportfotograf leisten kann. Die bei einer Agentur angestellten Kolleg*innen dagegen müssen pausenlos liefern – egal, ob die Sonnenstrahlen für eine wirkungsvolle optische Untermalung sorgen.
Faible fürs Schwimmen
Dass der ehemalige Schwimmer ein besonderes Faible gerade für diesen Sport hat, wird niemanden überraschen. »Die Sonne, das Licht, das Wasser, die Reflexion, die parallelen Linien der Bahnen, die Vielfalt der Bewegungsabläufe, der unterschiedlichsten Sportarten – das ist der Stoff, mit dem ich als Fotograf am liebsten arbeite«, erklärt er. Zahlreich sind seine Proben aufs Exempel. Eine Gruppe von Synchronschwimmerinnen fotografierte er in dem Moment, in dem sie die Wasseroberfläche durchstießen. Das Bild veranschaulicht die Harmonie und die vollkommene Koordination der Bewegungen in diesem Wasserballett. Eine visuelle Sinfonie in Blau. Weil das Licht von der Wasseroberfläche in mannigfaltiger Weise gebrochen und reflektiert wird, gleicht hier kein Foto dem anderen. Die Luftbläschen der Schwimmer*innen bei anderen Aufnahmen im feuchten Element fügen dem ein ganzes Formenarsenal hinzu.
Im Laufe der Jahrzehnte hat Laci Perényi mit vielen Athlet*innen Freundschaft geschlossen. Der Fechter Arnd Schmitt, bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul mit Gold im Einzelwettbewerb prämiert, bat ihn, bei seiner Hochzeit die Fotos zu machen. Ein Vertrauensbeweis. Auch Hochsprung-Legende Heike Henkel zählt zum Freundeskreis. Wunderbar jenes Foto von Perényi, in dem sie ihre Goldmedaille in die Luft wirft. Dadurch bekommt das Bild etwas Federleichtes – die perfekte Analogie zum Hochsprung. Ein weiterer – und besonders enger – Buddy ist Michael Groß. Perényi, nie um eine Anekdote aus der Welt des Sports verlegen, kann hier mit einer besonders hübschen Story aufwarten. Als der Albatros (den Beinamen erhielt er wegen seiner großen Arm-Spannweite) 1983 bei der Schwimm-EM in Rom antrat, grübelte Laci Perényi, natürlich vor Ort, um seiner Arbeit nachzugehen, wie er ein Foto von Michael Groß erstellen könne, das außer ihm niemand hat. Sein Einfall: Morgens um 5.30 Uhr setzte er sich mit dem Schwimmer in ein Taxi, das er zum Petersplatz beorderte. Dort ließ Groß die Hüllen fallen und posierte vor der Kamera – in Badehose, ansonsten lediglich geschmückt mit vier Goldmedaillen, die um seinen Hals hingen. Als sei das nicht ausgefallen genug, kam just in dem Moment, als Perényi auf den Auslöser drückte, ein Pater des Weges – dessen schwarze Soutane bildet einen markanten Kontrast zum durchtrainierten Körper des Schwimmers. Der Coup dauerte nicht einmal 60 Sekunden, dann beendete die Polizei das sittenwidrige Shooting vor dem Petersdom. Nicht viel Zeit. Sie reichte Laci Perényi, um ein Bild zu machen, das in die Annalen der Sportfotografie eingegangen ist.
Die Sportfotografie von Laci Perényi im Internet: