TEXT: ANDREAS WILINK
Zuerst eine Nabelschau, bei einer Reihenuntersuchung in der Schule unter 16-Jährigen. Das Auge der Kamera streift Haut und Haar, Muttermale, sanfte Rundungen. Dann die überraschende Enthüllung – ein Mädchen ist schwanger, Camille Fournier (Louise Grinberg). Der Samenspender ist Nebensache. Es war eher Spaß als ein Gefühl. Überhaupt sind Männer, Väter, Jungs hier nur Randfiguren, bis auf Camilles Bruder, der in der Armee und aus Afghanistan auf Heimaturlaub ist. Camille – stark, störrisch, souverän – wird zum Auslöser einer sanften Revolte unter ihren Mitschülerinnen. Bald sind mehr als ein Dutzend solidarisch in anderen Umständen, nachdem sie es während einer Strandparty in einer Art Massenbefruchtung kondomfrei getan haben. Lysistrata: anders herum. Wo liegt das Motiv dieser »kollektiven Utopie«, als die das Lehrerkollegium die etwas mysteriöse epidemische Empfängnis deutet? Hilflose Erklärungen. Ratlose Erwachsene. Der Vorschlag eines Kondom-Automaten würde nichts ändern. Hier will ein ganzer Jahrgang etwas anderes verhüten – so zu werden wie die Eltern.
Camille fantasiert sich in ein »200-prozentiges Leben« und in die Autonomie, zumal der Sozialstaat an die 750 Euro für Mutter und Kind zahlt. Kurioserweise schafft das Gegenmodell zum Lebensentwurf der Eltern, ihren Regeln und Bevormundungen, den die Girls als »scheißleben.com« bezeichnen, zwar einen Kick, aber zugleich neue Abhängigkeit und Verantwortung. Auch wenn die Schwangeren so die Langeweile austricksen und dem Abhängen im bretonischen Lorient, einer Stadt, die schon bessere Tage gesehen hat, eine Wende geben wollen. Der Atlantik verheißt hier zwar Freiheit, die aber am Beton der Bebauung seinen Sperrgürtel findet. Schwangerschaft als Krisensymptom. Immer wieder in dem einfühlsamen Debüt von Delphine und Muriel Coulin beobachten wir die Mädchen in ihren Jugendzimmern, wie sie sitzen, sinnen, warten, auf ihre Ungeborenen zu lauschen scheinen, im Stillstand verharren. Zugleich werden Machtstrukturen innerhalb der Clique durchsichtig. Ein Mädchen etwa täuscht seine Schwangerschaft nur vor, um endlich dazuzugehören. Veränderung aber bleibt ein Phantom. Camille verliert ihr Kind nach einem Autounfall und verschwindet aus dem Ort. »17 Mädchen« endet fast wie ein Film der Brüder Dardenne. Der letzte Satz hallt seltsam nach: »Ein träumendes Mädchen ist nicht aufzuhalten.« Höchstens von sich selbst.
»17 Mädchen«; Buch und Regie: Delphine und Muriel Coulin; Darsteller: Louise Grinberg, Juliette Darche, Roxane Duran, Esther Garrel, Yara Pilartz; Frankreich 2011, 90 Min.; Start: 14. Juni 2012.