TEXT: ALEXANDRA WACH
Wenn Maler zu Büchern greifen, landen diese nicht zwangsläufig als Objekt der Begierde auf der Leinwand. Bei Joan Miró war das anders. Über alle Schaffensphasen hinweg bevölkerten Schriftzeichen, Satzfragmente, Buchdeckel und Zeitungen seine Gemälde.
Es ist, als wollte einer seine Lieblingsspielzeuge auf einer einzigen Kommode zur Begutachtung ausstellen. Im Titel des Stilllebens »Das Pferd, die Pfeife und die rote Blume« fehlt allerdings das wichtigste Utensil. Ein aufgeschlagenes Buch, das die Illustration einer Schlange preisgibt. Das aus dem Philadelphia Museum of Art stammende Bild geht auf das Jahr 1920 zurück. Joan Miró hat es gemalt, kurz bevor er sich auf den Weg nach Paris machte. Da hatte er bereits in seiner Geburtsstadt Barcelona nützliche Kontakte zur französischen Bohème geknüpft. Schriftsteller, bildende Künstler und Musiker fanden hier wegen der Neutralität Spaniens Zuflucht vor den Schützengräben des Ersten Weltkriegs.
In der Galerie von Josep Dalmau bekam er zum ersten Mal Werke von Duchamp, Léger und Picasso zu sehen. Man diskutierte über Dada und Kubismus, aber auch über die neuesten Trends in der Literatur. Miró las französische und katalanische Avantgarde-Magazine und freundete sich mit Übersetzern französischer Poesie an. Die Begegnung mit dem Kunstkritiker Maurice Raynal beschleunigte schließlich seinen Wunsch, in Paris sein Glück zu versuchen.
Raynal verhalf ihm 1921 zu seiner ersten Ausstellung in der Seine-Metropole.
Sein Schaffen aus dieser Zeit spiegelt die Einflüsse wider, denen er ausgesetzt war. Immer wieder verweisen Textelemente auf die neueste Lektüre. In dem fauvistisch angehauchten Stillleben »Nord-Süd« von 1917 etwa gibt Miró die Früchte seiner Lesemanie zu Protokoll, einen Band von Goethe und den Schriftzug »NORD-SUD«, der sich auf die von Guillaume Apollinaire, Max Jacob und Pierre Reverdy frisch gegründete Avantgarde-Literaturzeitung bezieht.
Es ist eines von rund 110 Gemälden, Zeichnungen und Künstlerbüchern, die jetzt in der Düsseldorfer Schau »Miró. Malerei als Poesie« das vielgezeigte und hoffnungslos vermarktete Werk neu justieren sollen. Hätte es den Maler ohne den Dialog mit dichtenden Kollegen wie Tristan Tzara und André Breton je gegeben? Welchen Einfluss hatte ihre oft sinnfreie Sprache auf sein Malereikonzept, Elemente des Realismus im freien Spiel von Form und intensiver Farbe aufzulösen? Über 250 Künstlerbücher gehen auf sein Konto. Was bedeutete ihm das Zeichenreservoir dieses anderen, seine Einfälle befeuernden Mediums?
Mit neuen Lesarten aus dem Kosmos des Publikumslieblings Miró rechnet man eigentlich nicht mehr. Umso verwunderlicher ist es, dass sich zum letzten Mal die US-Kritikerin Rosalind Krauss Anfang der 70er-Jahre in einer Ausstellung Gedanken über seine überaus fruchtbare Verflechtung mit der Literatur machte. Und das, obwohl sich sein Lebenswerk notorisch der etwas süßlichen Kategorie »poetisch« erwehren muss.
Das liegt nicht etwa daran, dass Miró selbst Gedichte schrieb. Es sind die heute als dekorativ empfundenen archaischen Zeichen, in die jeder etwas anderes hineinzulesen vermag. Die Bilder sind mitunter langgestreckt wie asiatische Schriftrollen. Manchmal dient eine zusammengerollte Zeitschrift als Unterlage für grüne Kreise und geheime Ringelbotschaften. Fabulierende Titel wie »Ein Tautropfen, der vom Flügel eines Vogels fällt, weckt die im Schatten eines Spinnennetzes schlummernde Rosalie« oder »Der Gesang des Hahns durchlöchert einen Schädel, das Mondanbellen des Hundes weckt den Hahn des katalonischen Bauern auf, der auf dem Tisch neben dem Porrón steht« sind wiederum zumindest konkurrenzfähig. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass der Maler seine Berufung eigentlich in einer Doppel-Existenz sah.
Dass sich die aus dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg übernommene Schau in die Reihe von Ausstellungen perfekt einreiht, die zuletzt Vertreter der klassischen Moderne, wie Alexander Calder oder Kandinsky, Malewitsch und Mondrian, aus einer in der Rezeption wenig beachteten Perspektive betrachteten, mag ein Grund sein, warum das K20 seine Tore großzügig für eine Position öffnet, die hohe Besucherzahlen etwas überraschungsfrei garantiert.
Die Neugier, ob sich hinter dem grafisch verspielten Poster-Lieferanten tatsächlich ein unterschätzter Literaturkenner verbirgt, ist aber ein triftiger Grund, um trotz des Verdachts einer wenig risikofreudigen Ausstellungspolitik einen Besuch zu wagen. Die retrospektive Führungslinie nimmt man dankbar an. Gilt es doch gleich am Eingang in das Barcelona aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg einzutauchen. Zwei Doku-Filme zeigen mondäne Boulevards. Ein quirliger Verkehr dominiert das Stadtbild. Miró hielt es trotzdem für provinziell und streckte frühzeitig seine Fühler über die Pyrenäen hinaus.
Zuvor malte er noch den »Akt im Spiegel« im kubistischen Stil, eines der vier Gemälde, die aus dem hauseigenen Bestand kommen. Statt eines Buchs oder einer Zeitschrift, die man eigentlich erwartet hätte, hält die porträtierte Frau einen Spiegel in der Hand und betrachtet ihr Gesicht. Was hat es mit diesem die Hauptthese verfehlenden Frühwerk auf sich, fragt man sich irritiert und vergleicht den mit Schmetterlingen bestickten Gobelin-Hocker vor dem Gemälde mit dem Zwilling unter dem Gesäß der eitlen Nackten. Offenbar nutzt man hier etwas unmotiviert die Gelegenheit, ein kürzlich aufgetauchtes Fundstück vom Dachboden der Familie Miró zu präsentieren. Ein die erotische Fantasie beflügelnder Türöffner. Fragt sich nur wohin.
In die Lese-Lounge nebenan, die Mirós Bibliothek auf Mallorca nachempfunden ist, wohl kaum. Die bietet genug referenzfreie Sitzgelegenheiten. Die Objekte, die er auf Reisen gesammelt hatte, locken in beleuchteten Wandnischen. Unter ihnen ziehen in schwarzen Vitrinen entwaffnend schöne Künstlerbücher wie »Die Strafen der Hölle oder die Neuen Hybriden«, eine Zusammenarbeit von Miró und dem französischen Schriftsteller Robert Desnos, oder die exklusive Ausgabe von Franz von Assisis »Sonnengesang« alle Blicke auf sich.
Anfassen darf man die Künstlerbücher nicht. Mögen sie noch so klein wie Streichholzschachteln sein. Das gilt aber nicht für die weniger kostbaren Taschenbuchexemplare, die über den Raum verteilt zur Lektüre einladen. Sie richten sich nach dem Lesegeschmack des Meisters. Um die 1700 Bücher nannte er sein Eigen: Schwere Kost von Dostojewski, Rimbaud, Freud und Nietzsche. Aber auch Edgar Wallace und das Fantomas-Autorenduo kommen nicht zu kurz.
Der Parcours aus quer durch die Grabbe- und die Kleehalle verteilten Stellwänden setzt sich mit traumartigen Farbräumen fort, die Miró mit Buchstaben und Wörtern kombiniert. Er tauft sie zu »Tableau-poème« oder »Peinture-poème« um. Die Surrealisten um Bréton sind begeistert. Sie sehen in ihm einen der ihren. Miró zögert aber. Ihre Feier des Automatismus lehnt er ab und hält sich lieber vornehm zurück, wenn es darum geht, dogmatisch geführten Gruppenbildungen beizutreten.
Den depressiven Miró findet man in dieser ihre eigenen Vorgaben leichtfüßig unterlaufenden Ausstellung ebenfalls. In der Franco-Diktatur und während der Pariser Unruhen von 1968 dominiert Schwarz die sonst von der mediterranen Sonne verwöhnte Palette. Schablonen dienen dem widerständigen Geist dazu, große Buchstaben und Zahlen auf weiß grundierte Leinwände aufzutragen. Hin und wieder schwebt auf den riesigen Formaten eine schwarze Sonne über einem schwarzen Horizont. Japanischer Minimalismus schleicht sich ein.
Die überbordende Poesie glücklicher Tage nimmt eine Auszeit, um in der letzten Werkphase umso heftiger mit Chiffren von Monden, Sternen und Wolken aufzuleuchten. Für die einen eine naive Projektionsfläche für die vermeintlich harmonische Gefügtheit des Universums. Für die anderen eine Feier der Gegenwelt – Kunst, die allen Katastrophen des 20. Jahrhunderts zum Trotz die Süße des Lebens feiert. Und nicht zu vergessen: Die Tiefe des Lesens.
Kunstsammlung NRW, K20, Düsseldorf, bis 27. September 2015, Tel: 0211 / 8381204